Die Untoten von Veridon: Roman (German Edition)
Reine erreichten, stießen sie auf Dinge. Alte Dinge. Vorwiegend handelte es sich um vergrabene Gebäude, kaputte Maschinen und eine nicht zu ignorierende Schwere der Luft, die dem Ort das Gefühl eines Museums verlieh, das aufgebrochen und dem Himmel offenbart worden war. Und einige der Menschen, die sich im Delta ansiedelten, fanden eine Möglichkeit, einige dieser Dinge zu verwenden. Mein vielfacher Urgroßvater beispielsweise legte einen Ofen frei, so groß wie mehrere Häuser. Es gelang ihm, dessen Kraft dafür zu nutzen, den Aufschwung der jungen Stadt Veridon mit Energie zu versorgen. Das war unsere Fahrkarte in die Politik, brachte unseren Namen in die Gründungsurkunde, verschaffte uns einen Sitz im ersten Rat von Veridon. Die Tombs hatten damals einen anderen Namen, der irgendetwas mit Fischerei oder Schifffahrt zu tun hatte. Ich habe ihn vergessen. Dann jedoch schloss der alte Patriarch der Tombs einen Pakt, er starb nicht, und die Leute fingen an, die Familie anders zu nennen. Sogar in der Gründungsurkunde wurde ihr Name geändert. So gehen wir in Veridon mit Geschichte um. Wir betrachten sie als etwas, das es auszubeuten, zu verändern und zu benutzen gilt. So verfahren wir mit allem.
Wir fanden auch andere Dinge. Lebendige Dinge, oder zumindest Dinge, die nicht starben. Die Celesten. Sieben insgesamt, verteilt über das Delta. Sie sahen aus wie Menschen, wenngleich ihre Züge perfekter waren, als wir es uns vorstellen konnten, und ihre Haut weißer, als unsere je sein würde. Wie aus Knochen gemeißeltes Licht. Sie schwebten über dem Boden und nahmen die schmuddeligen Scharen der ersten Veridoner, die sich um sie versammelten, überhaupt nicht zur Kenntnis. Wir gaben ihnen Namen. Die Sängerin, der Wächter, der Krieger, die Trauernde Braut, die Vergessene Liebe, die Einsame Königin. Und der Ewige, der tot und doch lebendig aussah; der Hieb in seine Brust erstreckte sich bis zum Herzen, und dennoch wurde man von seinen Augen verfolgt, ganz gleich, wo man stand.
Wir bezeichneten sie als Götter. Wir beteten sie an, sagten durch sie die Zukunft voraus, erfanden falsche Legenden oder deckten Erzählungen über sie auf. Wir nannten sie Celesten. Dies war ihre Stadt, und wir dankten ihnen für die Gaben, die sie zurückgelassen hatten. Es gab Priester und eine Infrastruktur von Riten und Ritualen, die diesem Namen gerecht wurden. Es war Veridons erste Religion.
Andere Religionen kamen und gingen, aber die Celesten blieben. Sogar die Schöpfer suchten sich eine Zeitlang ihren Einfluss zunutze zu machen, bauten einen Tempel der Akademie und schufen ein Ritual des meditativen Lebens.
Seltsamerweise sollte es eine neue Religion sein, die damals noch gar keine war, die all dem ein Ende bereitete. Sie hieß zu der Zeit »Der Algorithmus«, eine neue Gruppe, die gewisse aus dem Fluss geborgene Trümmer studierte. Zusammen mit der Priesterschaft der Celesten verurteilte man die Praktiken der Schöpfer, ihr Studium des Todes und des Lebens, der Grenzen, die zwischen diesen beiden Welten verliefen. Ein Ratsbeschluss läutete das Ende der Gilde ein, unterzeichnet von drei Händen – vom Vorsitzenden des Rats, vom Obersten der Celesteanischen Ansicht und vom Erschaffermeister des Algorithmus.
Später griff der Algorithmus die Bezeichnung »Kirche« auf und verdrängte die Anbetung der Celesten langsam aus den Köpfen der Bewohner Veridons. Nicht durch Verurteilung oder einen Erlass, sondern durch Apathie und Vergessen. Die Kirche des Algorithmus bot handfeste Errungenschaften in Form von Mechagenetik und Maschinenbau, gewandet in Worte, die von Wundern sprachen. Letztlich wurde ihre Erzählung zur Geschichte Veridons, eine Geschichte über ein Mädchen, das ein Engel war, vom Fluss mitgerissen, bis es von den Erschaffern des Algorithmus gerettet wurde. Sie heilten die junge Frau mit dem, was sie aus dem Fluss gelernt hatten, und sie war ihnen so dankbar, dass sie ihnen die wahren Geheimnisse des Algorithmus offenbarte. So lautete die Geschichte, mit der wir uns alle zufriedengaben.
Und die Celesten gerieten in Vergessenheit. Ihre Dome stehen noch, doch ihre Priester sind verschwunden. Die Erschaffer des Algorithmus haben einen solchen Einfluss erlangt, dass niemand, der nach Macht oder Reichtum strebte, zugeben würde, den uralten Mysterien zu huldigen, wenngleich es kein Gesetz gegen die celestische Religion gibt. Und dennoch halten einige hinter verschlossenen Türen in geheimen Räumen an den alten
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