Die Untoten von Veridon: Roman (German Edition)
Traditionen fest. Sie zünden dicke Kerzen an, die nach heißem Sand riechen, und streichen mit den Fingern über Ikonen, die sich solange im Besitz ihrer Familien befunden haben, wie die Erinnerung zurückreicht. Es gibt also immer noch Anhänger der Celesten, auch wenn sie sich verstecken. Es gibt immer noch jene, die die alten Sprachen und die alten Riten kennen.
Meinen Vater, zum Beispiel. Alexander Burn, letzter Vertreter seiner Linie und Ratsmitglied der Stadt Veridon.
Sie brachten mich in ein altes Gefängnis und sperrten mich weg. Ich weiß nicht, ob mich einer der Wächter erkannte. Keine Ahnung, ob sie mich besser oder schlechter behandelt hätten, wenn dem so gewesen wäre. Mir war jedenfalls nicht danach, es darauf ankommen zu lassen. Einen Vater im Rat zu haben hätte mir vermutlich gewisse Privilegien bei den Ordnungshütern verschafft. Von einem Vater enteignet worden zu sein, der im Rat saß, war eine andere Geschichte.
Ich hatte Schmerzen – die Art von Ganzkörper-Schmerzen, die sich wie die Grippe oder wie ein Kater anfühlen oder so, als ob das Skelett als Stimmgabel verwendet worden wäre. Oder alles zusammen. Auch meiner Schulter ging es ziemlich schlecht. Wenigstens war es nicht der Arm, den ich zum Schießen benutzte. Allerdings war es die Seite, mit der ich mich sonst immer an die Wand lehnte, um lässig auszusehen. Deshalb saß ich nur auf der Bank und murmelte vor mich hin, als der diensthabende Beamte hereinkam, um mit mir zu reden. Genauer gesagt, um mich anzubrüllen.
»Jacob Burn, richtig?«, dröhnte er, noch bevor die Tür vollständig geöffnet worden war. Ich zuckte zusammen und nickte. »Typisch. Passt genau zu jemandem, den wir in einer brennenden Fabrik inmitten von Berichten über verrückte, Salto schlagende Frauen und Insekten aufgreifen.« Er musterte mich mit zusammengekniffenen Augen über ein Klemmbrett hinweg. »Wieder einer Ihrer mordlüsternen Engel, was?«
»Nein«, widersprach ich.
»Wollen hoffen, dass es kein weiteres dieser mörderischen Engelsdinger ist«, brummte er und notierte sich etwas auf seinem Klemmbrett, wobei er mich völlig ignorierte. »Das ist alles, was ich zu dem Thema sage.«
»Wer immer die Frau war, ich bin überzeugt davon, dass sie ›kein weiteres dieser mörderischen Engelsdinger‹ ist. Nicht annähernd.«
»Tja«, meinte er, abermals vorwiegend zu sich selbst. »Wie dem auch sein mag. Besser nicht.«
»Wird mir irgendetwas vorgeworfen, oder ist das für Sie bloß eine Gelegenheit, eine berühmte Persönlichkeit näher kennenzulernen?«
»Eine berühmte Persönlichkeit? Berühmt?« Er wedelte mit dem Klemmbrett vor meinem Gesicht herum und knurrte. »Bilden Sie sich bloß nichts ein, Jacob Burn. Glauben Sie bloß nicht, berühmt zu sein, nur weil Sie sich ein paar Geschichten ausgedacht und dafür gesorgt haben, dass ein Haufen anständiger Leute ums Leben gekommen sind. Glauben Sie das bloß nicht.«
Und da war es wieder. Vor zwei Jahren war mir etwas ziemlich Verrücktes widerfahren, und ich hatte den Fehler begangen, mit allen Leuten offen und ehrlich darüber zu reden. Und andere Leute – Leute, die ein Interesse daran hatten, dass über diese Geschichte der Mantel des Schweigens ausgebreitet wurde – hatten sich einige Mühe gegeben, mich wie einen Trottel aussehen zu lassen. Nun dachte die halbe Stadt, ich sei entweder verrückt oder ein Lügner, der in Schwierigkeiten geraten war und eine gute Geschichte erfunden hatte, um seine Schuld zu verschleiern. Man gab mir die Schuld am Tod all der Menschen, die bei dem Chaos gestorben waren, oder glaubte zumindest, ich wolle vertuschen, was wirklich geschehen war.
Zu den Menschen, die damals ums Leben gekommen waren, hatte die einzige Frau gehört, die ich je wirklich geliebt habe. Die ich je lieben werde. Ich habe sie eigenhändig getötet, weil etwas Entsetzliches im Begriff war, sie zu übernehmen, sie völlig zu pervertieren. Und dieses Etwas hätte weitere Menschen umgebracht. Deshalb habe ich sie getötet. So war es.
»Berühmt«, sagte ich verbittert und schleuderte ihm einen Blick zu, der Steine geschmolzen hätte. »Sonst würden Sie meinen Namen nicht kennen. Oder?«
Er verzog das Gesicht, als hätte er saure Milch getrunken.
»Bilden Sie sich bloß nichts ein«, wiederholte er, diesmal leiser. Dann wandte er sich wieder seinem Klemmbrett zu, strich stumm einige Dinge durch und notierte sich etwas. »Wollen Sie Einspruch gegen die Vorwürfe erheben?«
»Welche
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