Die Untoten von Veridon: Roman (German Edition)
mitkommen.«
»Begleiten wir Ihren Bruder?«, fragte ich. Dann versetzte ich mir innerlich einen Tritt, als sich ihre Züge verhärteten.
»Ja. Gehen wir ihn holen, in Ordnung?«
Damit stapfte sie aus dem Raum. Ich folgte ihr. Wir bogen einmal ab, dann ein zweites Mal, und schließlich betraten wir einen Raum, der einst ein prunkvoller Speisesaal gewesen sein musste. Nun glich er einem Schlachthaus. Das Essen stand noch auf dem Tisch – Eier, Schinken und Kaffee, alles kalt. Die Leichen hatte man weggeschafft, allerdings nicht weit. Sie lagen Seite an Seite auf dem Boden, bedeckt von fleckigen Tüchern. Veronicas Mutter stand am Kopfende des Tisches. Ihr Antlitz erinnerte an eine Tragödienmaske.
Veronica ging zum Tisch und schlug ein Tuch beiseite. Ein junger Mann, eine männliche Version ihrer selbst, das Gesicht bleich und ausdruckslos. Mit zärtlichem Blick betrachtete sie ihn, dann schaute sie zu mir. Weniger zärtlich.
»Vielleicht wird er es heute nicht schaffen. Ich fürchte, ich werde seinen Platz einnehmen müssen.«
»Veronica, es tut mir leid. Ich hatte ja keine Ahnung. Sie können nicht zu einer Ratsversammlung gehen, wenn gerade erst Ihre Familie … wenn alle …«
»Tatsächlich ist das alles, was ich tun kann. Hierzubleiben macht es nicht besser.« Sie kam auf mich zu, und der Blick ihrer kalten Augen bohrte sich in mein Gesicht. »Außerdem will ich meinen neuen Freund Jacob Burn mitnehmen. Um ihn all meinen alten Freunden vorzustellen.«
Ich spürte Eisen an den Handgelenken und schaute hinab. Mir wurde klar, dass ich Tränen wegblinzelte, als die Handschellen mit einem Klicken einrasteten.
»Es gibt einen Haftbefehl gegen Sie, Mr. Burn. Wir können uns unterwegs darüber unterhalten. Und Ihr Teil der Unterhaltung sollte besser gut ausfallen, denn ich bin wirklich nicht in der Stimmung für Klugscheißer.«
Kapitel 12
ALTE NAMEN, ALTE TINTE
Lange bevor wir die Ratskammer erreichten, begann es heftig zu regnen. Veronica und ich saßen auf gegenüberliegenden Seiten ihrer Droschke und schauten durch die Fenster hinaus. Sie verbrachte viel Zeit damit, zwei lange Satinhandschuhe auf ihrem Schoß abwechselnd zusammenzufalten und glatt zu streichen. Auf dem Boden zwischen ihren Füßen befand sich eine Kiste, und sie bewegte immer wieder ein Bein, um sich zu vergewissern, dass sie noch da war. Wie ein Kind, das bei einem symbolischen Gegenstand Trost sucht. Wir hatten jede Menge Wachleute dabei, die im Regen neben uns her rannten. Das verlangsamte unser Vorankommen ein wenig, aber Lady Bright hatte es eindeutig nicht eilig, zum Rat zu gelangen.
»Wie viele sind es gewesen?«, fragte ich.
»Tote Brüder? Nur der eine.«
»Sie gehen schrecklich flapsig mit der Sache um«, meinte ich zu ihr und verlagerte mein Gewicht auf dem Sitz, um mich ihr zuzuwenden. »Da drin waren viele Leichen. Wie viele davon waren Familienangehörige?«
»Jeder unter meinem Dach gehört auf die eine oder andere Weise zur Familie.« Sie legte die Hände auf die Handschuhe und seufzte. »Soll ich weniger um sie trauern, wenn es nur ein Freund oder ein Diener war? Sollte mir die dritte Tochter des Bruders meines Vaters mehr bedeuten als der Mann, der mir die letzten acht Jahre lang jeden Abend Wein eingeschenkt hat?« Sie sah mich an und zuckte mit den Schultern. »Menschen sterben, Jacob. Diese Leute sind nur ziemlich unverhofft beim Frühstück gestorben.«
»Sie haben den verfluchten Verstand verloren.«
»Ach, du meine Güte. Sie haben ja keine Ahnung.«
Ich presste mich gegen die Seite der Droschke und versuchte, so viel Abstand wie möglich zwischen uns zu bringen. Sie saß völlig entspannt da und schaute aus dem Fenster, die Hände sittsam auf dem Schoß gefaltet. Ihre Fußspitze tappte gegen die Kiste.
»Was ich meinte, ist, wie viele Angriffe hat es gegeben? Ich weiß, dass der Rat sie vor der Öffentlichkeit vertuscht. Ich weiß zwar nicht genau, was auf den Docks passiert ist, aber das, was sich wirklich zugetragen hat, und das, was die Ordnungshüter erzählen, sind zwei verschiedene Paar Schuhe.«
»Sechs«, antwortete sie schließlich, als wir um die letzte Kurve vor unserem Halt bogen. »Sechs Angriffe. Die meisten davon sehr begrenzte Vorfälle. Begrenzt ist das falsche Wort. Sehr präzise Vorfälle.«
»Sie sind gezielt erfolgt«, sagte ich.
»Ja. Gezielt.« Sie legte den Kopf schief wie ein Tier. »Aber nicht logisch. Kein erkennbares Muster. Es ist, als würde der Mörder ein Lied in einer
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