Die Unvergänglichen: Thriller (German Edition)
nie damit gerechnet, dass der Mann einem Treffen überhaupt zustimmen würde.
»Dr. Draman. Entschuldigen Sie, dass ich Sie habe warten lassen.«
Richard wirbelte herum und stand einer weiteren Überraschung gegenüber. Mason war nicht länger der aufgeblähte, eine Brille tragende Mann wie auf den Bildern, die er kannte, aber auch nicht der verwirrt dreinblickende Einsiedler, für den ihn viele hielten.
Man sah ihm seine fünfundsechzig Jahre zwar durchaus an, aber sie hatten ihm nicht übel mitgespielt. Seit seinem Verschwinden musste er wenigstens vierzig Pfund verloren haben, sodass er jetzt einen kräftigen Körperbau hatte sowie Schultern, die in der nicht gerade athletischen akademischen Welt durchaus als breit bezeichnet werden konnten. Seine Haut war am Mund und den Augen von tiefen Falten durchzogen, aber sein Gesicht unter dem langen grauen Haar sah gebräunt und gesund aus.
»Dr. Mason?«
Sein Gegenüber reagierte mit einem höflichen Lächeln.
»Es ist mir eine große Ehre, Sie kennenzulernen, Sir«, sagte Richard und schüttelte die Hand des Mannes so energisch, dass es fast schon peinlich war. Er hatte an der Wand seines Zimmers im Studentenwohnheim tatsächlich ein Bild von Mason aufgehängt. Seiner Erinnerung nach hatte es einen Ehrenplatz gleich rechts neben dem sehr geschätzten Poster von Raquel Welch im Fell-Bikini und direkt über seiner selten genutzten Wasserpfeife eingenommen.
»Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mich empfangen, Sir. Ich weiß, dass Sie das nur selten tun, und fühle mich geehrt, hier sein zu dürfen.«
Mason schien sich über den atemlos vorgetragenen Wortschwall seines Gastes zu amüsieren.
»Entschuldigen Sie«, fuhr Richard fort, »ich plappere. Aber daran sind Sie vermutlich gewöhnt.«
»Eigentlich nicht mehr.« Mason deutete auf zwei Sessel und sie setzen sich.
»Das Letzte, was ich hörte, war, dass Sie in der Krebsforschung arbeiten, Richard. Ich meine mich zu erinnern, dass viele Leute über Sie gesprochen haben. Der Wunderknabe aus … Oklahoma, nicht wahr?«
»Eigentlich stamme ich aus einer kleinen Stadt in Kansas, von der Sie vermutlich noch nie gehört haben.«
»Und wie konnte sich jemand aus einer Kleinstadt, von der ich noch nie gehört habe, in einem derart komplizierten Feld wie der Biologie einen derartigen Ruf machen, Richard?«
Peinlich berührt stellte Richard fest, dass ihm bei diesem Kompliment und der Tatsache, dass sich August Mason tatsächlich für ihn interessierte, das Adrenalin durch die Adern rauschte.
»Tja, an meiner Highschool gab es keine Klassen, die für mich eine Herausforderung gewesen wären, und ich hatte das Glück, dass man mir die Gelegenheit gab, an einer Privatschule in einem anderen Bundesstaat lernen zu dürfen.«
Das war zwar korrekt, aber noch lange nicht die ganze Geschichte. Tatsächlich war er als Kind völlig isoliert gewesen und hatte sich von seiner Familie, seiner Schule und seiner Stadt nicht verstanden gefühlt. Aus diesem Grund hatte er die intellektuellen Gaben, die er zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu schätzen gelernt hatte, für nicht gerade produktive Zwecke genutzt. Alles begann damit, dass er einen Trank entwickelte, der Kühe blau werden ließ, wenn man ihn dem Futter beimischte – was seiner Meinung nach eine gewaltige Verbesserung gegenüber der normalen Kansas-Monotonie war –, doch dieses künstlerische Statement kam bei der Gemeinde nicht gerade gut an. Was als harmloses Katz-und-Maus-Spiel begonnen hatte, führte letzten Endes zu einem unglücklichen Zwischenfall, in den ein Wasserturm, der neue Wagen seines Vertrauenslehrers sowie der Großteil der ansässigen Feuerwehr verwickelt waren.
»Und an dieser Schule haben Sie Ihre Inspiration gefunden?«
Unruhig rutschte Richard auf dem Sessel hin und her, da es ihm schwerfiel, vor einem so großen Geist wie August Mason über sich selbst zu sprechen, und da ihm unter seinem intensiven Blick die Worte zu fehlen schienen.
»Ehrlich gesagt war es eine Militärschule, Dr. Mason. Als ich dort ankam, hatte ich solche Angst, dass ich mir bei dem Aufnahmetest, den ich machen musste, wirklich Mühe gegeben habe. Zuerst glaubten sie, ich hätte geschummelt, aber als sie herausfanden, dass ich das nicht getan hatte, nahm mich einer der Naturkundelehrer unter seine Fittiche. Ihm habe ich im Grunde genommen alles zu verdanken.«
»Es ist schon interessant, wie ein zufälliges Ereignis unser Leben auf unvorstellbare Weise verändern kann,
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