Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Titel: Die Unvollendete: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
Vom Netzwerk:
ist nicht gänzlich unbekannt, dass kräftige junge Männer arbeiten.«)
    Maurice langweilte sich so sehr, dass er sich bereit erklärt hatte, Ursula das Schießen beizubringen, und sogar damit einverstanden war, alte Flaschen und Dosen als Zielscheibe zu verwenden statt der vielen wilden Geschöpfe, auf die er ständig aufs Geratewohl schoss – Kaninchen, Füchse, Dachse, Tauben, Fasane, einmal sogar ein kleines Reh, was ihm weder Pamela noch Ursula jemals verziehen.
    Solange sie unbelebt waren, schoss Ursula ziemlich gern auf Dinge. Sie benutzte Hughs Jagdgewehr, Maurice hatte ein prächtiges Gewehr von Purdey, das Geschenk seiner Großmutter zu seinem einundzwanzigsten Geburtstag. Adelaide drohte seit einigen Jahren zu sterben, »löste aber ihr Versprechen nicht ein«, wie Sylvie sagte. Sie lebte noch immer in Hampstead »wie eine riesige Spinne«, wie Izzie schaudernd bei Kalbskoteletts à la Russe sagte, obwohl es auch die Koteletts sein konnten, die das Schaudern hervorriefen. Es war eins der schlechteren Gerichte in Mrs. Glovers Repertoire.
    Eins der wenigen Dinge, vielleicht das einzige, das Sylvie und Izzie gemeinsam hatten, war ihre Abneigung gegen Hughs Mutter. »Sie ist auch deine Mutter«, sagte Hugh zu Izzie, und Izzie sagte: »O nein, sie hat mich am Straßenrand gefunden. Das hat sie mir oft genug erzählt. Ich war so ungezogen, dass mich nicht einmal die Zigeuner haben wollten.«
    Hugh sah Maurice und Ursula beim Schießen zu und sagte: »Kleiner Bär, du bist eine echte Annie Oakley.«

    »Weißt du«, sagte Sylvie, die plötzlich neben ihr stand und Ursula erschreckte, so dass sie wieder wach wurde, »so lange, faule Tage wie diese wirst du nie wieder erleben. Du glaubst es nicht, aber es ist so.«
    »Außer ich werde unglaublich reich«, sagte Ursula. »Dann könnte ich den ganzen Tag nichts tun.«
    »Vielleicht«, sagte Sylvie, »aber der Sommer würde trotzdem eines Tages zu Ende sein.« Sie setzte sich neben Ursula ins Gras und nahm den Kleist. »Ein selbstmörderischer Romantiker«, sagte sie verächtlich. »Willst du wirklich neuere Sprachen studieren? Dein Vater meint, dass Latein vielleicht nützlicher wäre.«
    »Wie kann es nützlich sein? Niemand spricht es«, sagte Ursula vernünftig. Es war eine Diskussion, die den ganzen Sommer über unterschwellig rumorte. Sie streckte die Arme über den Kopf. »Ich werde für ein Jahr nach Paris gehen und nur Französisch sprechen. Das wird dort sehr nützlich sein.«
    »Ach, Paris«, sagte Sylvie. »Paris wird ziemlich überschätzt.«
    »Dann eben Berlin.«
    »In Deutschland herrscht Chaos.«
    »Wien.«
    »Spießig.«
    »Brüssel«, sagte Ursula. »Gegen Brüssel kann niemand etwas einwenden.«
    Es stimmte, zu Brüssel fiel Sylvie nichts ein, und ihre Tour durch Europa hatte ein jähes Ende gefunden.
    »Nach der Universität«, sagte Ursula. »Bis dahin sind es noch Jahre, du kannst aufhören, dir Sorgen zu machen.«
    »Auf der Universität wirst du nicht lernen, wie man Ehefrau und Mutter wird.«
    »Was, wenn ich keine Ehefrau und Mutter werden will?«
    Sylvie lachte. »Jetzt redest du Unsinn, um mich zu provozieren. Auf der Terrasse steht Tee«, sagte sie und stand widerwillig auf. »Und Kuchen. Und leider auch Izzie.«

    Ursula ging vor dem Abendessen auf dem Weg spazieren, Jock lief zufrieden voraus. (Er war ein wunderbar fröhlicher Hund, schwer zu glauben, dass Izzie eine so gute Wahl getroffen hatte.) An so einem Sommerabend war Ursula gern allein. »Ach«, sagte Izzie, »du bist in einem Alter, in dem Mädchen vom Erhabenen einfach verzehrt werden.«
    Ursula war sich nicht sicher, was sie damit meinte (»Niemand ist sich je sicher, was sie meint«, sagte Sylvie), aber sie glaubte, sie ein bisschen zu verstehen. In der schimmernden Luft lag etwas Fremdes, ein Gefühl von etwas unmittelbar Bevorstehendem, das Ursulas Herz höherschlagen ließ, als ob es wachsen würde. Es war etwas Hochheiliges – ihr fiel keine bessere Bezeichnung dafür ein. Vielleicht war es die Zukunft, dachte sie, die immer näher rückte.
    Sie war sechzehn, alles stand ihr bevor. Sie war sogar schon geküsst worden, noch dazu an ihrem Geburtstag, von Maurice’ durchaus beunruhigendem amerikanischem Freund. »Nur ein Kuss«, sagte sie, bevor sie ihn zurückstieß, weil er ihr zu frech kam. Unglücklicherweise stolperte er über seine großen Füße und fiel rückwärts in eine Zwergmispel, was ziemlich bescheuert und unwürdig aussah. Sie erzählte es Millie, die

Weitere Kostenlose Bücher