Die Unvollendete: Roman (German Edition)
Emailbrosche in Form einer schwarzen Katze. Ein kleiner Strassstein funkelte als Auge. Ruth trug einen schweren Topas, geschliffen wie ein Karfunkel, auf ihrer Spatzenbrust. Es sah aus, als könnte er ihre magere Gestalt vornüber ziehen.
»Wir sind wie Elstern«, sagte Ruth und lachte. »Wir lieben die glitzernden kleinen Dinge.«
Sie hatten den Wasserkessel aufgestellt und überlegten gut gelaunt, was sie ihr zu essen anbieten sollten – Toast mit Marmite oder Toast mit Marmelade –, als die Sirenen ihr infernalisches Geheul anstimmten. Ursula schaute aus dem Fenster. Noch keine Anzeichen von Jagdbombern, obwohl ein Scheinwerfer bereits den schwarzen Himmel absuchte. Ein wunderschöner Neumond schnitt eine Lichtsichel aus der Schwärze.
»Kommen Sie mit, meine Liebe, in den Keller der Millers«, sagte Lavinia überraschend munter. »Es ist jeden Abend ein Abenteuer«, fügte Ruth hinzu, während sie zahllose Dinge zusammensuchten – Schultertücher und Tassen, Bücher und Nähzeug. »Die Taschenlampe, die Taschenlampe, vergiss die Taschenlampe nicht!«, sagte Lavinia fröhlich.
Als sie im Erdgeschoss waren, schlug ein paar Straßen entfernt eine Bombe ein. »O nein!«, sagte Lavinia. »Ich habe mein Strickzeug vergessen.«
»Wir gehen noch einmal hinauf, meine Liebe«, sagte Ruth, und Ursula sagte: »Nein, Sie müssen in den Schutzraum.«
»Ich stricke eine Strampelhose für Mrs. Appleyards Baby«, sagte Lavinia, als wäre das ein guter Grund, ihr Leben aufs Spiel zu setzen.
»Seien Sie unbesorgt, meine Liebe«, sagte Ruth, »wir sind wieder zurück, bevor Sie merken, dass wir weg waren.«
»Um Himmels willen, wenn Sie es brauchen, dann gehe ich es holen«, sagte Ursula, aber sie stiegen mit knackenden alten Knochen bereits wieder die Treppe hinauf, und Mr. Miller drängte sie in den Keller.
»Renee, Dolly, ihr alle – schaut nur, wer seine alten Freunde besucht!«, verkündete er, als wäre Ursula eine Varieténummer.
Sie hatte vergessen, wie zahlreich die Millers waren und wie steif Miss Hartnell sein konnte und wie ausgesprochen komisch Mr. Bentley war. Renee schien sich nicht mehr an die Begeisterung ihrer letzten Begegnung zu erinnern und sagte nur: »O Gott, noch jemand, der die Luft in diesem Höllenloch verbraucht.« Renee wiegte – widerwillig – den quengeligen Emil. Sie hatte recht, es war ein Höllenloch. In Egerton Gardens hatten sie einen sauberen Keller, in den sie sich zurückzogen, obwohl Ursula (und auch Crighton, wenn er zu Hause war) oft das Risiko einging und im Bett liegen blieb.
Ursula dachte an den Ehering und wie verwirrt Hugh und Sylvie wären, wenn sie bei einem Bombenangriff umkäme und sie ihn an ihrer Leiche fänden. Würde Crighton zu ihrer Beerdigung kommen und alles erklären? Sie konnte ihn nicht mehr abstreifen, weil Renee ihr plötzlich Emil in die Arme drückte, kurz bevor eine massive Explosion das Gebäude erschütterte.
»Du meine Güte, der alte Fritz will uns heute Nacht aber wirklich Angst einjagen«, sagte Mr. Miller gut gelaunt.
Sie hieß offenbar Susie. Sie hatte keine Ahnung, konnte sich an nichts erinnern. Ein Mann sprach immer wieder aus der Dunkelheit mit ihr. »Kommen Sie, Susie, jetzt nicht einschlafen« und »Wie wär’s, wenn wir eine schöne Tasse Tee trinken, wenn wir hier raus sind, Susie?« Sie erstickte an Asche und Staub. Sie spürte, dass etwas in ihr irreparabel zerrissen war. Gesprungen. Sie war eine goldene Schale. »Klingt sehr nach Henry James«, hörte sie Teddy sagen. (Hatte er das gesagt?) Sie war ein großer Baum (wie merkwürdig). Ihr war sehr kalt. Der Mann hielt ihre Hand, drückte sie. »Na los, Susie, bleiben Sie wach.« Aber sie konnte nicht, die weiche Dunkelheit lockte sie mit dem Versprechen von Schlaf, endlosem Schlaf, und sachte begann der Schnee zu fallen, bis sie ganz davon bedeckt und alles dunkel war.
Morgen wird ein schöner Tag
September 1940
S ie vermisste Crighton mehr, als sie ihn oder Pamela hatte merken lassen. Er hatte am Abend bevor der Krieg erklärt wurde, ein Zimmer im Savoy gemietet, und sie hatte ihr gutes königsblaues Satinkleid angezogen, und dann verkündete er, dass sie ihr Verhältnis beenden sollten (»uns verabschieden«). »Es wird ein schreckliches Blutvergießen geben«, sagte er, doch ob er den Krieg oder sie beide meinte, wusste sie nicht.
Trotz oder vielleicht wegen ihres Abschieds gingen sie miteinander ins Bett, und er sagte immer wieder, wie sehr er »diesen
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