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Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Titel: Die Unvollendete: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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hinauf, weil auf der Treppe kniehoch Glasscherben von einem riesigen Oberlicht lagen.
    »Ich überlege, ob ich nach Irland zurückgehe«, sagte Bridget, während sie die Teller spülten. »Ich habe mich in diesem Land nie zu Hause gefühlt.«
    »Ich auch nicht«, sagte Ursula.

    Der Apfelpudding erwies sich als schlichtes Apfelkompott, da Sylvie sich weigerte, kostbares altes Brot für einen Pudding zu verwenden, wenn es als Hühnerfutter nützlicher war. In Fox Corner wurde nichts verschwendet. Reste bekamen die Hühner (»Sie denkt daran, sich ein Schwein zuzulegen«, sagte Hugh verzweifelt), nachdem Knochen zu Brühe ausgekocht waren, wurden sie zur Altmaterialverwertung geschickt so wie jede leere Dose und jedes Glas, das nicht mit Marmelade oder Chutney oder Bohnen oder Tomaten gefüllt war. Alle Bücher waren gebündelt und verpackt und zur Post gebracht worden, um sie an die Armee zu schicken. »Wir haben sie schon gelesen«, sagte Sylvie, »warum sollen wir sie behalten?«
    Hugh kam zurück, und Bridget brachte ihm murrend einen Teller mit Essen.
    »Oh«, sagte Sylvie höflich zu ihm, »du wohnst hier? Warum setzt du dich nicht zu uns?«
    »Wirklich, Sylvie«, sagte Hugh schärfer, als es man es von ihm gewohnt war. »Du benimmst dich wie ein Kind.«
    »Wenn ich das tue, dann hat mich die Ehe so werden lassen«, sagte Sylvie.
    »Ich erinnere mich, dass du früher behauptet hast, dass es für eine Frau keine höhere Berufung gibt als die Ehe«, sagte Hugh.
    »Ja? Das muss gewesen sein, als wir noch jung und unschuldig waren.«
    Pamela schaute Ursula an und zog die Augenbrauen in die Höhe, und Ursula fragte sich, seit wann ihre Eltern so unverhohlen streitlustig waren. Ursula wollte ihn nach der Bombe fragen, aber dann sagte Pamela fröhlich: »Wie geht es Millie?«, um das Thema zu wechseln.
    »Es geht ihr gut«, sagte Ursula. »Es ist angenehm, mit ihr zusammenzuwohnen. Allerdings sehe ich sie kaum. Sie ist der Truppenbetreuung beigetreten und Mitglied einer Gruppe, die in der Mittagspause vor Fabrikarbeitern auftritt.«
    »Die armen Kerle«, sagte Hugh und lachte.
    »Mit Shakespeare?«, fragte Sylvie zweifelnd.
    »Ich glaube, sie macht alles, was sie kriegen kann. Ein bisschen singen, ein bisschen Kabarett, du weißt schon.« Sylvie sah nicht so aus, als ob sie es wüsste.
    »Ich kenne einen jungen Mann«, platzte Ursula heraus und überraschte damit alle, auch sich selbst. Eigentlich wollte sie nur das Gespräch auflockern. Sie hätte es wirklich besser wissen müssen.

    Er hieß Ralph, wohnte in Holborn und war ein neuer Freund, ein »Kumpel«, den sie in ihrem Deutschkurs kennengelernt hatte. Vor dem Krieg war er Architekt gewesen, und Ursula nahm an, dass er auch nach dem Krieg wieder als Architekt arbeiten würde. Natürlich nur, falls noch jemand am Leben sein sollte. (Konnte London ausgelöscht werden wie Knossos oder Pompeji? Die Kreter und die Römer liefen wahrscheinlich mitten während der Katastrophe herum und sagten: »Das stecken wir weg.«) Ralph hatte viele Ideen, anstelle der Slums moderne Wohntürme zu bauen. »Eine Stadt für die Menschen«, sagte er, eine Stadt, »die aus der Asche der alten wie ein Phönix wiederaufersteht, durch und durch modern.«
    »Hört sich sehr ikonoklastisch an«, sagte Pamela.
    »Er ist nicht nostalgisch wie wir.«
    »Sind wir das? Nostalgisch?«
    »Ja«, sagte Ursula. »Nostalgie beruht auf etwas, was es nie gegeben hat. Wir stellen uns ein Arkadien vor, versunken in der Vergangenheit, Ralph sieht es in der Zukunft. Beides ist natürlich gleichermaßen unwirklich.«
    »Paläste bis in die Wolken?«
    »So in etwa.«
    »Aber du magst ihn?«
    »Ja.«
    »Habt ihr … du weißt schon.«
    »Also wirklich! Was ist das denn für eine Frage?« Ursula lachte. (Sylvie war wieder an der Tür, Hugh saß im Schneidersitz auf dem Rasen und tat so, als wäre er der große Häuptling Running Bull.)
    »Es ist eine sehr gute Frage«, sagte Pamela.
    Sie hatten nicht. Vielleicht wenn er leidenschaftlicher wäre. Sie dachte an Crighton. »Und außerdem haben wir so wenig Zeit für …«
    »Sex?«, sagte Pamela.
    »Ich wollte sagen, uns kennenzulernen, aber ja, Sex.« Sylvie war wieder da und versuchte, die kriegführenden Fraktionen auf dem Rasen zu trennen. Die Evakuierten waren sehr unsportliche Feinde. Hugh war mit einer alten Wäscheleine gefesselt. Er sah Ursula und formte mit den Lippen lautlos das Wort »Hilfe«, aber er grinste wie ein Schuljunge. Es war schön, ihn

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