Die Unvollendete: Roman (German Edition)
Karton gebastelt und Hühnerfedern daran geklebt. Die Cowboys mussten sich mit Hughs Taschentüchern zufriedengeben, die sie sich um den Hals banden. Die beiden Labradors rasten angesichts dieser Aufregung in einem Zustand hündischer Ekstase herum, während Gerald, der erst zehn Monate alt war, auf einer Decke neben Pamelas Hund Heidi schlief, die ihrerseits zu behäbig für solche Mätzchen war.
»Er ist offenbar so was wie eine Alibisquaw«, sagte Pamela. »Zumindest lassen sie uns in Ruhe. Es ist wie ein Wunder. Und passt zum Altweibersommer.«
»Sechs Jungen in einem Haus«, fuhr Pamela fort. »Gott sei Dank hat die Schule wieder angefangen. Jungs werden nicht müde, man muss sie die ganze Zeit beschäftigen. Wahrscheinlich bist du nur kurz da?«
»Leider ja.«
Sie hatte einen kostbaren freien Samstag geopfert, um Pamela und die Jungen zu sehen. Pamela war erschöpft, während Sylvie vom Krieg wie belebt war. So unwahrscheinlich es war, aber sie war zur getreuen Anhängerin des zivilen Frauenhilfsdienstes geworden.
»Das hat mich überrascht. Sie mag andere Frauen nicht besonders«, sagte Pamela.
Sylvie hielt jetzt eine große Schar Hühner und hatte die Eierproduktion auf Kriegsniveau getrieben. »Die armen Tiere müssen Tag und Nacht legen«, sagte Pamela, »man könnte meinen, Mutter leitet eine Waffenfabrik.« Ursula glaubte nicht, dass man Hühner zwingen konnte, Überstunden zu machen. »Sie redet so lange auf sie ein, bis sie es tun«, sagte Pamela und lachte. »Sie ist eine richtige Hühnerfrau.«
Ursula erwähnte nicht, dass sie zu einem Einsatzort gerufen worden war, zu einem von einer Bombe getroffenen Haus, in dem die Bewohner im Hinterhof Hühner in einem improvisierten Auslauf hielten. Als sie ankamen, fanden sie die Hühner, die fast alle noch lebten, aber keine Federn mehr hatten. »Schon gerupft«, hatte Mr. Bullock gesagt und herzlos gelacht. Ursula hatte Menschen gesehen, denen es die Kleider vom Leib gerissen hatte, und Bäume, die mitten im Sommer keine Blätter mehr hatten, aber auch diese Dinge ließ sie unerwähnt. Sie erwähnte das Waten im Abwasser aus geborstenen Rohren nicht und schon gar nicht die in ebendiesem Abwasser Ertrunkenen. Sie erwähnte nicht, wie grausig es war, einem Mann die Hand auf die Brust zu legen und zu merken, dass die Hand in den Brustkorb geglitten war. (Tot – etwas, wofür man vermutlich dankbar sein sollte.)
Erzählte Harold Pamela von allem, was er sah? Ursula fragte nicht, an so einem schönen Tag schien es falsch, das Thema auch nur anzusprechen. Sie dachte an all die Soldaten aus dem letzten Krieg, die nach Hause gekommen waren und nie darüber redeten, was sie in den Schützengräben erlebt hatten. Mr. Simms, Mr. Palmer, ihr eigener Vater natürlich.
Sylvies Eierproduktion schien das Herz eines ländlichen Schwarzmarkts zu sein. Niemandem im Dorf mangelte es ernsthaft an irgendetwas. »Hier herrscht Tauschwirtschaft«, sagte Pamela. »Und sie tauschen und handeln wie die Wilden, glaub mir. Das wird sie auch jetzt an der Tür tun.«
»Zumindest seid ihr ziemlich sicher hier«, sagte Ursula. Waren sie das? Sie dachte an den Blindgänger, den Hugh sich ansah. Oder an die vergangene Woche, als eine Bombe auf einer Wiese detoniert war, die zu Ettringham Hall gehörte, und die Kühe in Stücke gerissen hatte. »Eine Menge Leute hier haben in aller Stille Rindfleisch gegessen«, sagte Pamela. »Wir auch, erfreulicherweise.«
Sylvie schien zu denken, dass sie aufgrund »dieses schrecklichen Vorfalls« mit dem Leiden der Menschen in London gleichgezogen hatten. Sie war zurückgekommen und hatte sich eine Zigarette angezündet, statt aufzuessen. Ursula aß die Reste auf ihrem Teller, während Pamela eine Zigarette aus Sylvies Päckchen nahm und sie anzündete.
Bridget kam heraus und begann, die Teller abzuräumen, und Ursula sprang auf und sagte: »Nein, das mache ich.« Pamela und Sylvie blieben am Tisch sitzen, rauchten schweigend und beobachteten, wie das Wigwam gegen einen Angriff der Evakuierten verteidigt wurde. Ursula fühlte sich schlecht behandelt. Sowohl Sylvie als auch Pamela redeten, als hätten sie es wirklich schwer, während sie den ganzen Tag arbeitete, fast jeden Abend auf Patrouille ging und mit den schrecklichsten Dingen fertigwerden musste. Erst gestern war sie bei einem Einsatz gewesen, bei dem sie jemanden ausgruben, während ihnen von einer Leiche im Schlafzimmer darüber Blut auf die Köpfe tropfte. Sie konnten nicht
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