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Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Titel: Die Unvollendete: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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Sylvie und hob die heruntergefallene Masche auf, »das ist leicht übertrieben.«
    Pamela hielt inne, Kuchengabel in der einen Hand, Löffel in der anderen, als würde sie gleich einen von Mrs. Glovers schweren Nachtischen in Angriff nehmen. »Fressen?«, wiederholte sie entsetzt. »Babys?«
    »Nein«, sagte Sylvie ärgerlich. »Sei nicht albern.«
    Mrs. Glover rief aus den Tiefen der Küche nach Bridget, und diese stürzte augenblicklich davon. Sylvie hörte, wie Bridget ihrerseits die Treppe hinauf den anderen Kindern zuschrie: »Euer Essen steht auf dem Tisch!«
    Pamela seufzte wie jemand, der sein Leben schon hinter sich hatte, und setzte sich an den Tisch. Sie starrte blind auf das Tischtuch und sagte: »Ich vermisse Daddy.«
    »Ich auch, Liebes«, sagte Sylvie. »Ich auch. Jetzt mach schon, geh und sag den anderen, dass sie sich die Hände waschen sollen.«
    Zu Weihnachten hatte Sylvie ein großes Paket für Hugh gepackt: die unvermeidlichen Socken und Handschuhe; ein endloser Schal von Pamela und als Antidot dafür einen Schal aus zweilagigem Kaschmir, gestrickt von Sylvie und getauft mit ihrem Lieblingsparfüm, La Rose Jacqueminot, das ihn an zu Hause erinnern sollte. Sie stellte sich Hugh auf dem Schlachtfeld vor, ihren Schal direkt auf der Haut, ein galanter Ritter im Turnier, der das Geschenk einer Dame trug. Dieser Tagtraum von Ritterlichkeit war tröstlich und den Blicken auf Dunkleres vorzuziehen. Sie hatten ein Winterwochenende in Broadstairs verbracht, eingemummt in Gamaschen, Mieder und Wollmützen, und das Dröhnen der großen Kanonen jenseits des Wassers gehört.
    Zudem enthielt das Weihnachtspaket einen von Mrs. Glover gebackenen Pflaumenkuchen, eine Dose mit etwas missgestalten Pfefferminzpralinen, die Pamela gemacht hatte, Zigaretten, eine Flasche guten Malt Whiskys und einen Band mit Gedichten – eine Anthologie englischer Verse, überwiegend seelsorgerlich und nicht allzu anspruchsvoll – und kleine handgefertigte Geschenke von Maurice (ein Flugzeug aus Balsaholz) und eine Zeichnung von Ursula, blauer Himmel, grünes Gras und die kleine deformierte Gestalt eines Hundes. »Bosun«, schrieb Sylvie als Hilfestellung darüber. Sie hatte keine Ahnung, ob Hugh das Paket erhalten hatte oder nicht.
    Weihnachten war langweilig. Izzie kam und redete viel über nichts (oder sich selbst), bevor sie verkündete, dass sie dem freiwilligen Krankendienst beigetreten war und nach den Feiertagen nach Frankreich aufbrechen würde.
    »Aber, Izzie«, sagte Sylvie, »du kannst weder Kranke pflegen noch kochen oder Schreibmaschine schreiben oder irgendetwas anderes, was nützlich wäre.« Die Worte klangen harscher, als sie beabsichtigt hatte, aber Izzie war wirklich verrückt. (»Eine Schwatzbase«, lautete Mrs. Glovers Urteil.)
    »Das ist das Ende«, sagte Bridget, als sie von Izzies Berufung zur barmherzigen Samariterin hörte, »bis zur Fastenzeit haben wir den Krieg verloren.« Izzie sprach nie von ihrem Sohn. Er war in Deutschland adoptiert worden, und Sylvie nahm an, dass er deutscher Staatsbürger war. Wie seltsam, dass er nur ein bisschen jünger als Ursula, aber offiziell der Feind war.
    Zu Beginn des neuen Jahres erkrankten die Kinder eins nach dem anderen an Windpocken. Izzie saß im nächsten Zug nach London, kaum hatte sich in Pamelas Gesicht die erste Pustel gebildet. So viel zu Florence Nightingale, sagte Sylvie gereizt zu Bridget.

    Trotz ihrer ungeschickten Wurstfinger war Ursula mittlerweile auch dem im Haushalt herrschenden Strickrausch verfallen. Zu Weihnachten hatte sie eine französische Strickliesel aus Holz namens La Reine Solange bekommen, und Sylvie erklärte, dass das »Königin Solange« bedeutete, obwohl sie »bezweifelte«, dass es tatsächlich eine Königin Solange gegeben hatte. Ihre Majestät war in königlichen Farben bemalt und trug eine ausgeklügelte gelbe Krone, mit deren Spitzen die Wolle gestrickt wurde. Ursula war eine hingebungsvolle Untertanin und verbrachte ihre gesamte Freizeit, von der sie mehr als genug hatte, damit, lange gewundene Wollschnüre zu produzieren, mit denen nichts anzufangen war, außer sie zu Lappen einzudrehen oder zu schiefen Teewärmern zusammenzunähen. (»Wo sind die Löcher für die Tülle und den Henkel?«, rätselte Bridget.)
    »Hübsch, Liebes«, sagte Sylvie und betrachtete den kleinen Lappen, der sich in ihren Händen langsam auflöste wie etwas, was aus einem langen Schlaf erwachte. »Übung macht den Meister, vergiss das

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