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Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Titel: Die Unvollendete: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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ihren Hut, mehrere Haarnadeln und den obersten Knopf ihrer Bluse verloren. »In dem Gedränge habe ich kein Bein mehr auf den Boden bekommen«, sagte sie glücklich.
    »Du meine Güte, was für ein Krach«, sagte Sylvie und kam in die Küche, verschlafen und schön in ihrem spitzenbesetzten Morgenmantel, ihr Haar ein langes ausfransendes Seil auf ihrem Rücken. Clarence wurde rot und schaute auf seine Stiefel. Sylvie machte Kakao für sie alle und hörte Bridget nachsichtig zu, bis das Novum, um Mitternacht wach zu sein, niemanden mehr wach hielt.
    »Morgen geht wieder alles seinen normalen Gang«, sagte Clarence und gab Bridget ein gewagtes Küsschen auf die Wange, bevor er nach Hause zu seiner Mutter ging. Es war wirklich ein außergewöhnlicher Tag.
    »Glaubst du, dass Mrs. Glover beleidigt sein wird, weil wir sie nicht geweckt haben?«, fragte Sylvie Pamela flüsternd, als sie die Treppe hinaufstiegen.
    »Wütend wird sie sein«, sagte Pamela, und sie lachten beide wie Verschwörerinnen, wie Frauen.

    Als alle wieder schliefen, träumte Ursula von Clarence und Bridget. Sie suchten in einem verwilderten Garten nach Bridgets Hut. Clarence weinte, richtige Tränen auf der guten Seite seines Gesichts, auf der anderen Seite waren die Tränen gemalt und sahen aus wie künstliche Regentropfen auf dem Bild einer Fensterscheibe.
    Als Ursula am nächsten Morgen erwachte, war sie glühend heiß, und ihre Glieder schmerzten. »Siedend heiß wie ein Hummer«, sagte Mrs. Glover, die Sylvie geholt hatte und um eine zweite Meinung bat. Auch Bridget lag im Bett. »Das überrascht mich überhaupt nicht«, sagte Mrs. Glover und verschränkte die Arme unter ihrem ausladenden, aber wenig verlockenden Busen. Ursula hoffte, dass nicht Mrs. Glover sie pflegen würde.
    Ursula atmete schwer und röchelnd, die Luft wollte nicht aus ihrer Brust entweichen. Die Welt blähte sich und schrumpfte wie das Meer in einer riesigen Muschel. Alles war auf angenehme Weise verschwommen. Trixie lag zu ihren Füßen auf dem Bett, und Pamela las ihr Das rote Märchenbuch vor, doch die Worte hatten keine Bedeutung. Pamelas Gesicht verschwamm und wurde wieder scharf. Sylvie kam und wollte ihr Fleischbrühe einflößen, aber ihr Hals war zu eng, und sie spuckte alles auf die Bettlaken.
    Reifen knirschten auf dem Kies, und Sylvie sagte zu Pamela: »Das wird Doktor Fellowes sein«, stand rasch auf und fügte hinzu: »Bleib bei Ursula, Pammy, aber lass Teddy nicht ins Zimmer.«

    Im Haus war es stiller als gewöhnlich. Als Sylvie nicht zurückkam, sagte Pamela: »Ich schaue nach, wo Mummy ist. Bin gleich wieder da.« Ursula hörte Gemurmel und Schreie irgendwo im Haus, aber sie bedeuteten ihr nichts.
    Sie schlief einen sonderbaren ruhelosen Schlaf, als Dr. Fellowes plötzlich neben ihrem Bett stand. Sylvie saß auf der anderen Seite des Betts, hielt Ursulas Hand und sagte: »Ihre Haut ist lila wie die von Bridget.« Lila Haut klang hübsch wie Das lila Märchenbuch. Sylvies Stimme war komisch, tränenerstickt und panisch wie damals, als sie den Jungen mit dem Telegramm den Weg entlangkommen sah, aber das Telegramm war nur von Izzie gewesen, die Teddy alles Gute zum Geburtstag wünschte. (»Gedankenlos«, sagte Sylvie.)

    Ursula bekam keine Luft mehr, und doch roch sie das Parfüm ihrer Mutter und hörte ihre Stimme leise in ihr Ohr murmeln wie das Summen einer Biene an einem Sommertag. Sie war zu müde, um die Augen zu öffnen. Sie hörte Sylvies Rock rascheln, als sie vom Bett aufstand, und dann das Geräusch, wie das Fenster geöffnet wurde. »Dann kannst du vielleicht besser atmen«, sagte Sylvie, kehrte zu Ursula zurück und drückte sie an ihre gestärkte Seersuckerbluse, die frisch gewaschen war und nach Rosen duftete. Der Holzgeruch von einem Feuer wehte durch das Fenster in das kleine Dachbodenzimmer. Sie hörte das Klappern von Hufen, gefolgt vom Rasseln der Kohlen, als der Kohlenmann seine Säcke in den Kohlenkeller leerte. Das Leben ging weiter. Etwas von großer Schönheit.
    Ein Atemzug, das war alles, was sie brauchte, aber sie konnte nicht atmen.
    Rasch wurde es dunkel, die Dunkelheit war zuerst ein Feind und dann ein Freund.

Schnee
    11. Februar 1910
    E ine stämmige Frau mit Unterarmen wie ein Heizer weckte Dr. Fellowes, indem sie eine Tasse samt Untertasse auf das Nachtkästchen neben seinem Bett knallte und die Vorhänge aufriss, obwohl es draußen noch dunkel war. Es dauerte einen Augenblick, bis er sich daran erinnerte, dass er im

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