Die Unvollendete: Roman (German Edition)
und sie Geld genug haben?«
Mrs. Glover ignorierte das Argument, erhob sich schwerfällig und sagte: »Ich muss Mrs. Todds Frühstück machen.« Sie holte eine Schüssel mit in Milch eingelegten Nieren aus der Speisekammer und begann, die schmierige weiße Membran wie die Haut eines Eis zu entfernen. Bridget schaute zu der rötlich marmorierten Milch und empfand, für sie ganz untypisch, leichten Ekel.
Dr. Fellowes hatte bereits gefrühstückt – Speck, Blutwurst, in der Pfanne gebratenes Brot und Eier – und war aufgebrochen. Männer aus dem Dorf waren gekommen und hatten versucht, sein Auto auszugraben, und als es ihnen nicht gelang, hatte jemand George geholt, und er war auf einem seiner großen Shires herbeigeritten, um Dr. Fellowes zu retten. Der Gedanke an den heiligen Georg drängte sich Mrs. Glover kurz auf und wurde hastig als zu abstrus wieder abgedrängt. Mit einiger Schwierigkeit war Dr. Fellowes hinter Mrs. Glovers Sohn auf das Pferd gehievt worden, und sie waren davongeritten, hatten Schnee gepflügt, nicht Erde.
Ein Bulle war über einen Bauern getrampelt, der jedoch noch am Leben war. Mrs. Glovers Vater, ein Milchhändler, war von einer Kuh getötet worden. Mrs. Glover, jung, aber furchtlos und noch nicht mit Mr. Glover bekannt, hatte ihren Vater tot in der Molkerei gefunden. Sie sah noch immer das Blut auf dem Stroh und den überraschten Ausdruck von Maisie vor sich, der Lieblingskuh ihres Vaters.
Bridget wärmte sich die Hände an der Teekanne, und Mrs. Glover sagte: »Ich muss mich um die Nieren kümmern. Hol mir eine Blume für Mrs. Todds Frühstückstablett.«
»Eine Blume?«, fragte Bridget verwundert und schaute durch das Fenster auf die Schneemassen. »Bei diesem Wetter?«
Waffenstillstand
11. November 1918
O h, Clarence«, sagte Sylvie beim Öffnen der Hintertür. »Bridget hatte leider einen kleinen Unfall. Sie ist über die Stufe gestolpert und gestürzt. Sie hat sich wahrscheinlich nur den Knöchel verstaucht, aber ich bezweifle, dass sie nach London zu den Feierlichkeiten fahren kann.«
Bridget saß auf Mrs. Glovers Stuhl, einem großen Windsor mit hoher Lehne, vor dem Herd und nippte Brandy. Ihr Knöchel lag auf einem Schemel, und sie erzählte genüsslich die dramatische Geschichte. »Ich wollte grade zur Küchentür reinkommen. Ich war draußen und hab Wäsche gewaschen, ich weiß gar nicht, warum, weil es grade wieder angefangen hatte zu regnen, und dann hab ich gespürt, wie Hände mich von hinten geschubst haben. Und dann hab ich auf dem Boden gelegen und wahnsinnige Schmerzen gehabt. Kleine Hände«, fügte sie hinzu, »wie die Hände von einem kleinen Geisterkind.«
»Also wirklich«, sagte Sylvie. »In dem Haus wohnen keine Geister, weder Geisterkinder noch andere. Hast du was gesehen, Ursula? Du warst doch im Garten, oder?«
»Ach, das törichte Mädchen ist einfach gestolpert«, sagte Mrs. Glover. »Sie wissen doch, wie ungeschickt sie ist. Wie auch immer«, sagte sie mit einiger Befriedigung, »damit hat sich dein Riesenspaß in London erledigt.«
»Ganz und gar nicht«, sagte Bridget beherzt. »Diesen Tag will ich um nichts in der Welt versäumen. Komm, Clarence. Reich mir deinen Arm. Ich kann humpeln. «
Es wurde dunkel und so weiter.
Schnee
11. Februar 1910
I hr braucht nicht fragen, sie heißt ›Ursula‹«, sagte Mrs. Glover und schaufelte löffelweise Haferbrei in die Schüsseln vor Maurice und Pamela, die an dem großen Holztisch in der Küche saßen.
»Ursula«, sagte Bridget beifällig. »Das ist ein schöner Name. Hat ihr das Schneeglöckchen gefallen?«
Waffenstillstand
11. November 1918
A lles war irgendwie vertraut. »Man nennt es Déjà-vu «, sagte Sylvie. »Es ist ein Streich, den dir dein Geist spielt. Der menschliche Geist ist ein unergründliches Phänomen.« Ursula war sicher, dass sie sich daran erinnerte, wie sie im Kinderwagen unter dem Baum gelegen hatte. »Nein«, sagte Sylvie, »niemand kann sich an etwas aus der Zeit erinnern, als er so klein war«, doch Ursula erinnerte sich an die Blätter, die wie große grüne Hände in der Brise winkten, und den silbernen Hasen, der vom Verdeck hing, vor ihrem Gesicht baumelte und sich drehte. Sylvie seufzte. »Du hast wirklich eine sehr lebhafte Phantasie, Ursula.« Ursula wusste nicht, ob das ein Kompliment war oder nicht, aber es stimmte, dass sie Reales und Eingebildetes oft durcheinanderbrachte. Und die schreckliche Angst – der angstvolle Schrecken –, die sie
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