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Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Titel: Die Unvollendete: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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hätte.
    »Hier entlang«, sagte sie kühl, ohne Ursula beim Namen zu nennen. Ursula folgte ihr fromm wie ein Lamm zur Schlachtbank.
    Izzie, eher effizient als mitfühlend, hatte sie mit dem Auto abgesetzt (»Viel Glück«) und versprochen, dass sie sie »später« wieder abholen würde. Ursula hatte keine Ahnung, was in der Zeit zwischen Izzies »Viel Glück« und ihrem »später« passieren würde, aber sie nahm an, dass es unangenehm wäre. Vielleicht müsste sie einen widerlich schmeckenden Sirup oder große Pillen aus einer Nierenschale schlucken. Und zweifellos würde ihr eine heftige Standpauke wegen ihrer Moral und ihres Charakters gehalten. Es war ihr letztlich gleichgültig, solange die Uhr zurückgedreht werden konnte. Wie groß war das Baby, fragte sie sich. Ihre kurze Recherche in der Enzyklopädie der Shawcross’ hatte nur wenige Hinweise geliefert. Sie vermutete, dass es mit einiger Schwierigkeit herauskäme und in ein Tuch gewickelt in eine Wiege gelegt und gut gepflegt würde, bis es groß genug wäre, um einem netten Paar ausgehändigt zu werden, das sich so sehr danach sehnte, ein Baby zu haben, wie Ursula sich wünschte, es loszuwerden. Und dann könnte sie mit dem Zug nach Hause fahren, die Church Lane entlanggehen und die weiße Porzellanschüssel mit den geernteten Himbeeren mitnehmen, bevor sie Fox Corner betrat, als wäre außer Museen und so weiter nichts gewesen.

    Es war eigentlich ein Zimmer wie alle anderen. An den großen Fenstern hingen Vorhänge, gerafft und mit Kordeln gehalten. Sie sahen aus, als wären sie von einem früheren Leben des Hauses übrig geblieben so wie der Kamin, in dem jetzt ein Gasfeuer brannte, und die schlichte Uhr mit den großen Zahlen auf dem Kaminsims. Der grüne Linoleumboden und der Operationstisch in der Mitte des Raums passten nicht hierher. Es roch wie in dem Chemielabor in der Schule. Ursula erschrak über die brutal wirkende Anordnung glänzender Instrumente, die auf einem Leintuch auf einem Rollwagen lagen. Sie schienen mehr mit Schlachten als mit einem Baby zu tun zu haben. Nirgendwo stand wartend eine Wiege. Ihr Herz begann zu rasen.
    Ein Mann, älter als Hugh, in einem langen weißen Doktorkittel, betrat hastig den Raum, als wäre er unterwegs zu einem anderen Ort, und befahl Ursula, sich auf den Operationstisch zu legen, die Füße »in die Steigbügel«.
    »Steigbügel?«, sagte Ursula. Was hatten Pferde damit zu tun? Die Aufforderung war verwunderlich, bis die gestärkte Krankenschwester sie auf den Tisch stieß und ihre Beine hob. »Werde ich operiert?«, fragte Ursula. »Aber ich bin nicht krank.« Die Krankenschwester legte ihr eine Maske aufs Gesicht. »Zähl von zehn bis eins«, sagte sie. »Warum?«, versuchte Ursula zu fragen, aber das Wort hatte sich in ihrem Gehirn kaum gebildet, als das Zimmer und alles, was sich darin befand, verschwanden.
    Das Nächste, was sie wusste, war, dass sie auf dem Beifahrersitz von Izzies Austin saß und benebelt durch die Windschutzscheibe schaute.
    »Du wirst in null Komma nichts wieder auf dem Damm sein«, sagte Izzie. »Mach dir keine Sorgen, sie haben dich vollgepumpt. Du wirst dich ein bisschen komisch fühlen.« Woher wusste Izzie so viel über diesen entsetzlichen Prozess?
    In der Melbury Road half Izzie ihr ins Bett, und sie schlief tief unter den glänzenden Satinlaken im Gästezimmer. Draußen war es dunkel, als Izzie mit einem Tablett hereinkam. »Ochsenschwanzsuppe«, sagte sie frohgemut. »Aus der Dose.« Izzie roch nach Alkohol, süß und klebrig, unter dem Make-up und ihrem heiteren Verhalten wirkte sie erschöpft. Ursula vermutete, dass sie ihr schrecklich zur Last fiel. Sie kämpfte sich in eine sitzende Position. Der Geruch nach Alkohol und Ochsenschwanz war zu viel, und sie erbrach sich auf den glänzenden Satin.
    »O Gott«, sagte Izzie und schlug die Hand vor den Mund. »Für so etwas bin ich wirklich nicht gemacht.«
    »Was ist mit dem Baby?«, fragte Ursula.
    »Was?«
    »Was ist mit dem Baby?«, wiederholte Ursula. »Haben sie es einem netten Paar gegeben?«

    Sie erwachte in der Nacht und übergab sich erneut und schlief wieder ein, ohne das Erbrochene wegzuwischen oder Izzie zu rufen. Als sie am Morgen erwachte, war sie zu heiß. Viel zu heiß. Ihr Herz pochte in ihrer Brust, und jeder Atemzug fiel ihr schwer. Sie versuchte aufzustehen, aber ihre Beine trugen sie nicht. Danach war alles verschwommen. Izzie musste Hugh angerufen haben, denn sie spürte eine kühle Hand auf ihrer

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