Die Unvollendete: Roman (German Edition)
gesehen«, und jetzt war er »kaum mehr als ein Bürokrat«. Er sei ruhelos, sagte er. »Entweder machst du mir gleich eine Liebeserklärung«, sagte Ursula, »oder du willst unser Verhältnis beenden.« Es gab Obst – Pfirsiche in Seidenpapier.
»Es ist ein heikler Balanceakt«, sagte er und lächelte betrübt. »Ich wanke.« Ursula lachte, das Wort passte nicht zu ihm.
Er erzählte eine Geschichte über Moira, irgendetwas aus ihrem Leben im Dorf und ihr Bedürfnis nach Vereinsarbeit, und Ursula ließ ihre Gedanken schweifen, interessierte sich mehr für die Bakewell-Tart, die offenbar aus einer Küche tief in der Admiralität herbeigezaubert worden war. (»Wir werden gut versorgt«, sagte er. Wie Maurice, dachte sie. Die Privilegien der Männer an der Macht, unerreichbar für die, die in einem braungelben Meer trieben.)
Wenn Ursulas ältere Kolleginnen Wind von der Affäre bekommen hätten, wären die Riechsalzvorräte geplündert worden, vor allem wenn sie erfahren hätten, mit wem in der Admiralität sie ein Techtelmechtel hatte (Crighton gehörte zum Führungsstab). Ursula war gut, sehr gut darin, ein Geheimnis zu bewahren.
»Ihr Ruf, diskret zu sein, eilt Ihnen voraus, Miss Todd«, hatte Crighton gesagt, als sie ihm vorgestellt wurde.
»Du meine Güte«, sagte Ursula, »das klingt ja furchtbar langweilig.«
»Eher faszinierend. Ich vermute, Sie wären eine gute Spionin.«
»Und wie war Maurice? Er selbst?«, fragte Ursula.
»Maurice geht es gut, weil er er selbst ist und sich nie ändern wird.«
» Ich bin noch nie zu einem Mittagessen nach Surrey eingeladen worden.«
»Da kannst du dich glücklich schätzen.«
»Ich sehe ihn kaum. Man sollte nicht meinen, dass wir im selben Ministerium arbeiten. Er wandelt in den luftigen Fluren der Macht –«
»In den heiligen Hallen.«
»In den heiligen Hallen. Und ich wusle in einem Bunker herum.«
»Ja? In einem Bunker?«
»Er ist oberirdisch. In South Kensington, du weißt schon – beim Geologischen Museum. Maurice zieht sein Büro in Whitehall unserer Einsatzzentrale natürlich vor.«
Als sie sich im Innenministerium für eine Stelle bewarb, hatte Ursula angenommen, dass Maurice ein gutes Wort für sie einlegen würde, doch stattdessen hatte er über Nepotismus bramarbasiert und dass er sich keinesfalls der Günstlingswirtschaft verdächtig machen wolle. »Caesars Frau und so weiter«, hatte er gesagt. »Und in seiner Eingebildetheit ist Maurice natürlich Caesar und nicht Caesars Frau, oder?«, sagte Pamela. »Oh, hör auf damit«, sagte Ursula und lachte. »Maurice als Frau, stell dir das nur mal vor.«
»Ja, aber eine römische Frau. Das würde besser zu ihm passen. Wie hieß Coriolanus’ Mutter?«
»Volumnia.«
»Ach, jetzt weiß ich wieder, was ich dir erzählen wollte – Maurice hatte noch einen Freund zum Mittagessen eingeladen«, sagte Pamela. »Aus seiner Zeit in Oxford, dieser große Amerikaner. Erinnerst du dich?«
»Ja!« Ursula suchte nach dem Namen. »Ach, verflixt, wie hieß er noch … irgendwas Amerikanisches. An meinem sechzehnten Geburtstag hat er versucht, mich zu küssen.«
»Das Schwein!« Pamela lachte. »Das hast du mir nie erzählt.«
»Es war nicht gerade so, wie man sich einen ersten Kuss vorstellt. Eher wie ein Rugbyangriff. Er war ein ziemlicher Rüpel.« Ursula lachte. »Ich glaube, ich habe seinen Stolz verletzt – vielleicht auch mehr als nur seinen Stolz.«
»Howie«, sagte Pamela. »Aber jetzt ist er Howard – Howard S. Landsdowne III, um seinen vollen Titel zu nennen.«
»Howie«, sagte Ursula. »Den hatte ich ganz vergessen. Was macht er jetzt?«
»Irgendwas Diplomatisches. Er ist noch geheimnistuerischer als Maurice. Er arbeitet in der Botschaft, Kennedy ist ein Gott für ihn. Ich glaube, Howie bewundert den alten Adolf.«
»Maurice würde ihn wahrscheinlich auch bewundern, wenn er nicht ganz so ausländisch wäre. Ich habe ihn einmal auf einem Schwarzhemden-Treffen gesehen.«
»Maurice? Unmöglich! Vielleicht hat er spioniert, ich kann ihn mir als agent provocateur vorstellen. Was hast du dort getan?«
»Ach, weißt du, Spionage wie Maurice. Nein, wirklich, es war reiner Zufall.«
»So viele bestürzende Enthüllungen bei einer einzigen Kanne Tee. Kommen noch mehr? Soll ich noch eine Kanne machen?«
Ursula lachte. »Nein, ich glaube, das war’s.«
Pamela seufzte. »Es ist schrecklich, nicht wahr?«
»Wegen Harold?«
»Der arme Mann, er wird vermutlich hierbleiben müssen. Sie können
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