Die Unvollendete: Roman (German Edition)
zugesehen, wie Holland House abbrannte. Sie waren in der Melbury Road gewesen und hatten Izzies Weinkeller geplündert. »Warum ziehst du nicht in mein Haus?«, hatte Izzie beiläufig gesagt, bevor sie nach Amerika abreiste. »Du könntest meine Hausmeisterin spielen. Und hier wärst du sicher. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Deutschen Holland Park bombardieren werden.« Ursula dachte, dass Izzie die Präzision der Bombenabwürfe der Luftwaffe überschätzte. Und wenn es so sicher war, warum hatte Izzie dann die Flucht ergriffen?
»Nein danke«, sagte sie. Das Haus war zu groß und zu leer. Aber sie hatte den Schlüssel genommen und durchsuchte das Haus gelegentlich nach nützlichen Dingen. In den Küchenschränken standen noch Dosen, die Ursula für einen allerletzten Notfall aufsparte, und dann war da natürlich noch der volle Weinkeller.
Sie ließen den Lichtschein ihrer Taschenlampen über die Weinregale schweifen – der Strom war bei Izzies Auszug abgestellt worden –, und Ursula hatte gerade eine schön aussehende Flasche Pétrus herausgezogen und zu Ralph gesagt: »Glaubst du, dass der zu Bratkartoffeln und Dosenfleisch passt?«, als eine ungeheure Explosion erfolgte und sie sich auf den harten Steinboden warfen, die Hände über dem Kopf, weil sie glaubten, das Haus sei getroffen worden. Es war Hughs Rat gewesen, den er Ursula bei ihrem letzten Besuch in Fox Corner gegeben hatte. »Immer den Kopf schützen.« Er war im Krieg gewesen, das vergaß sie manchmal. Die Regale mit den Weinflaschen hatten gebebt und gezittert, und im Nachhinein wollte Ursula gar nicht daran denken, was für einen Schaden die Flaschen Château Latour und Château d’Yquem hätten anrichten können, wenn sie auf sie heruntergeprasselt wären, die Splitter wie Schrapnells.
Sie waren nach draußen gerannt und hatten zugesehen, wie Holland House zu einem Scheiterhaufen wurde, die Flammen alles fraßen, und Ursula dachte, lass mich nicht in einem Feuer sterben. Lass es schnell vorbei sein, bitte, lieber Gott.
Sie hatte Ralph ungeheuer gern. Sie wurde nicht von Liebe verzehrt wie manche andere Frauen. Bei Crighton hatte sie endlos mit der Idee gespielt, aber mit Ralph war es weniger kompliziert. Es war wieder nicht Liebe, sondern sie empfand für ihn die gleichen Gefühle, die sie für ihren Lieblingshund empfinden würde (und nein, das hätte sie ihm nie gesagt. Manche Leute, viele Leute waren nicht in der Lage zu verstehen, wie sehr man einen Hund ins Herz schließen konnte).
Ralph zündete sich eine weitere Zigarette an, und Ursula sagte: »Harold behauptet, dass Rauchen sehr schädlich ist. Er sagt, dass er auf dem Operationstisch Lungen gesehen hat, die ausgesehen haben wie nicht gekehrte Schornsteine.«
»Natürlich ist es nicht gut für dich«, sagte Ralph und zündete Ursula eine Zigarette an. »Aber von den Deutschen bombardiert und erschossen zu werden ist auch nicht gut für dich.«
»Fragst du dich nicht manchmal, was wäre«, sagte Ursula, »wenn irgendeine kleine Sache anders gewesen wäre, in der Vergangenheit, meine ich. Wenn Hitler bei der Geburt gestorben wäre oder wenn ihn jemand als Baby entführt hätte und er in – ich weiß nicht – sagen wir in einem Quäkerhaushalt aufgewachsen wäre, dann wäre doch bestimmt alles anders gekommen.«
»Glaubst du, dass Quäker Babys entführen?«, fragte Ralph nachsichtig.
»Wenn sie wüssten, was passieren würde, vielleicht schon.«
»Aber niemand weiß, was passieren wird. Und außerdem hätte er genauso werden können, Quäker hin oder her. Vielleicht hätte man ihn umbringen müssen, statt ihn zu entführen. Könntest du das? Könntest du ein Baby umbringen? Mit einer Pistole? Oder wenn du keine hättest, mit bloßen Händen? Kaltblütig?«
Wenn ich damit Teddy retten könnte, dachte Ursula. Nicht nur Teddy natürlich, sondern auch den Rest der Welt. Teddy hatte sich am Tag nach der Kriegserklärung bei der Royal Air Force beworben. Er arbeitete damals auf einem kleinen Bauernhof in Suffolk. Nach Oxford hatte er ein Jahr an einem landwirtschaftlichen College studiert und dann auf verschiedenen Bauernhöfen und Kleingehöften im ganzen Land gearbeitet. Er wollte alles wissen, sagte er, bevor er sich einen eigenen Hof zulegte. (»Ein Bauer ?«, sagte Sylvie immer noch.) Er wollte kein idealistischer Zurück-aufs-Land-Typ werden, der knietief im Schlamm bei kränklichen Kühen und toten Lämmern stand, das Getreide die Ernte nicht wert. (Offenbar
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