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Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Titel: Die Unvollendete: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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es sich Billy, der Hund, auf einem bequem gemacht. Zur Ausstattung gehörten zudem ein kleiner Spirituskocher und ein Aladdin-Paraffinkocher, beide Gegenstände erschienen Ursula in dieser Enge extrem gefährlich, noch dazu wenn Bomben abgeworfen wurden. (Die Millers reagierten im Angesicht von Gefahr ungezwungen und gelassen.)
    Es waren fast alle anwesend – Mrs. Appleyard und Emil, der komische Fisch Mr. Bentley, Miss Hartnell und der ganze Satz Millers. Mrs. Miller äußerte sich besorgt über das Fehlen der Nesbits, und Mr. Miller erklärte sich bereit, hinaufzugehen und ihnen Beine zu machen (»blödes Strickzeug«), doch in diesem Augenblick erschütterte eine ungeheure Explosion den Keller. Ursula spürte, wie die Fundamente bebten, während sich die Druckwelle in der Erde unter ihr ausbreitete. Hughs Anweisung befolgend, warf sie sich auf den Boden, nahm dabei den nächsten kleinen Miller-Jungen mit (»Eh, lass mich los!«) und legte die Hände über den Kopf. Er wand sich unter ihr, bis er sich befreit hatte.
    Alles war still.
    »Das war nicht unser Haus«, sagte der Junge verächtlich und prahlerisch, um seine verletzte männliche Würde wiederherzustellen.
    Auch Mrs. Appleyard hatte sich auf den Boden geworfen, das Baby sicher unter ihr. Mrs. Miller hatte nicht einen aus ihrer Brut gepackt, sondern die alte Blechdose mit ihren Ersparnissen und Versicherungspolicen.
    Mr. Bentley, seine Stimme zittrig und ein bisschen höher als normal, fragte: »Waren wir das?«
    Nein, dachte Ursula, hätte es uns getroffen, wären wir tot. Sie setzte sich auf einen der wackligen Bugholzstühle, die Mr. Miller zur Verfügung gestellt hatte. Sie spürte ihr Herz zu heftig pochen. Sie begann zu zittern und wickelte sich in Bridgets Häkeldecke.
    »Nein, der Junge hat recht«, sagte Mr. Miller, »das klang nach Essex Villas.« Mr. Miller behauptete immer zu wissen, wo die Bomben eingeschlagen hatten. Erstaunlicherweise lag er oft richtig. Alle Millers waren bewandert in Kriegssprache und Kriegsstimmung. Sie steckten ihn alle weg. (»Und wir können auch austeilen, nicht wahr?«, schrieb Pamela. »Man sollte meinen, wir hätten kein Blut an den Händen.«)
    »Sie sind zweifellos das Rückgrat Englands«, sagte Sylvie zu Ursula anlässlich ihrer ersten (und letzten) Begegnung mit ihnen. Mrs. Miller hatte Sylvie zu einer Tasse Tee zu sich in die Küche eingeladen, aber Sylvie war noch verärgert über den Zustand von Ursulas Vorhängen und Teppichen, für den sie Mrs. Miller verantwortlich machte in der Annahme, sie wäre die Hausbesitzerin und nicht eine Mieterin. (Sie war taub für Ursulas Erklärungen.) Sylvie benahm sich, als wäre sie eine Gräfin, die der Hütte eines ländlichen Pächters einen Besuch abstattete. Ursula stellte sich vor, wie Mrs. Miller später zu Mr. Miller sagte: »So was von hochnäsig, diese Frau.«
    Über ihnen war jetzt der Lärm fortwährender Bombenexplosionen zu hören, die Kesselpauken der großen Bomben, das Pfeifen der Granaten und das Donnern der mobilen Artillerieeinheit in der Nähe. Hin und wieder bebten knarrend und krachend die Fundamente des Kellers, während die Bomben auf die Stadt herunterprasselten. Emil heulte, Billy, der Hund, heulte, die zwei kleinsten Millers heulten. Jeder in einer anderen Tonlage, ein unangenehmer Kontrapunkt zu Donner und Blitz der Luftwaffe. Ein schreckliches, endloses Gewitter. Verzweiflung hinter sich und den Tod vor Augen.
    »Du meine Güte, der alte Fritz will uns heute Nacht aber wirklich Angst einjagen«, sagte Mr. Miller und justierte gelassen eine Lampe, als wären sie in einem Zeltlager. Er war für die Moral im Keller verantwortlich. Wie Hugh hatte er in den Schützengräben gelegen und behauptete, für die Bedrohungen durch den Jerry unempfänglich zu sein. Sie bildeten einen ganzen Club, Crighton, Ralph, Mr. Miller, sogar Hugh, die das Martyrium von Feuer und Schlamm und Wasser auf sich genommen hatten und annahmen, dass es sich um eine einmalige Erfahrung handelte.
    »Was hat der alte Fritz bloß vor?«, sagte er zu einem kleineren, ängstlicheren Kind. »Der will wohl verhindern, dass ich meinen Schönheitsschlaf kriege.« Mr. Miller nahm die Deutschen immer nur einzeln wahr in Person von Fritz und Jerry, Otto, Hermann, Hans, und manchmal warf sogar Adolf selbst in sechseinhalb Kilometer Höhe die Bomben ab.
    Mrs. Miller (Dolly), die den Triumph der Erfahrung über die Hoffnung verkörperte (im Gegensatz zu ihrem Mann),

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