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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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nicht einmal zu reden!«
    »Natürlich, das hat Carlo auch gesagt, aber ich kann nichts dagegen tun, ich habe immer Angst, daß er …«
    »Gut. Jetzt geh, ich muß diese Briefe zu Ende schreiben.«
    »Also kommst du wirklich nicht mit?«
    »Ich kann nicht, Beatrice, wie soll ich dir das begreiflich machen? Mit deiner und Eriprandos Krankheit habe ich zuviel Zeit verloren. Schau dir die vielen Briefe, zu unterschreibenden Papiere und die Rechnungen an, die verdammten Rechnungen!«
    »Aber zum Abendessen kommst du, nicht wahr?«
    »Natürlich, ich muß doch etwas essen, oder?«
    »Und danach?«
    »Danach sehe ich weiter.«
    »Mein Gott, Modesta, was für ein Haufen Papier. Ich bin wirklich undankbar, du arbeitest für uns. Ich hasse mich, Modesta, ich hasse mich. Und all diese beschriebenen Blätter … Was für eine kleine, seltsame Handschrift, wie die eines Arztes. Völlig unleserlich. Was sind das für Blätter?«
    »Meine Arbeit, Gedichte, Notizen.«
    »Ach, genau, das hast du mir schon gesagt. Die Großmutter hatte recht, ich bin wirklich gedankenlos.«
    »Jetzt reicht es aber mit deiner Großmutter! Ich möchte den Namen nicht mehr hören. Sie ist tot, Beatrice.«
    »Aber sie hat dich so geschätzt … Und ich bin sicher, daß sie dich immer noch schätzt.«
    »Ich glaube kaum. Oder wer weiß, warum nicht? Du hast gar nicht so unrecht. Es ist typisch für Leute wie sie, die Personen zu schätzen, die sie schachmatt setzen. Erinnerst du dich, wie glücklich sie war, als der alte Arzt beim Schach gegen sie gewonnen hat?«
    »Aber du hast sie nicht schachmatt gesetzt, du hast ihr bloß nicht gehorcht, und ich glaube …«
    »Nicht gehorcht? Hast du ›nicht gehorcht‹ gesagt, Beatrice? Da muß ich aber lachen.«
    »O Modesta, endlich lächelst du! Endlich siehst du mich an, du hast mich schon seit Monaten nicht mehr angesehen.«
    Und wirklich waren Monate vergangen … seit Eriprandos Schreien, die mich immer noch ab und zu nachts weckten und die nur der Anblick seines schlafenden Gesichts verjagen konnte. Sie hatte recht, und ich beherrschte mich, legte den Arm um ihre Taille und küßte ihr feines, nach Heu duftendes Haar: derselbe Geruch wie bei Eriprando und Carmine. Nur die Konsistenz war anders. Ihr Haar war noch weich wie das von Eriprando als Baby, bevor der Kampf gegen die Krankheit die Locken so hart wie die von Carmine hatte werden lassen, Eriprandos und Beatrices Vater. So aus der Nähe sah ich die ersten weißen Strähnen in dem Blond. Von der väterlichen Seite hatte Beatrice das vorzeitige Weißwerden und den kranken Fuß geerbt. Vom bäuerlichen Stamm dieses Ehrenmannes rührten zwei höchst verfeinerte Merkmale, exquisit und dekadent.
    »O Modesta, du lächelst und berührst mein Haar. Haßt du mich nicht mehr?«
    »Ich habe dich nie gehaßt, Beatrice, nur …«
    »Ja, ja, Carlo hat mir gesagt, daß es nur Sorge und Müdigkeit waren. Er hat auch das Wort dafür genannt … Wie hieß das noch?«
    »Trauma, Beatrice.«
    »Ja, daß du, genau wie ich, ein Trauma gehabt hast. Aber ich ertrage es einfach nicht, dich so weit weg von mir zu spüren. Ich kann nichts dagegen tun, ich fühle mich schuldig, klammere mich aber zugleich an Dinge, von denen ich selbst weiß, daß sie falsch sind. Warum tue ich bloß all das, was ich nicht tun soll?«
    »Wer weiß, vielleicht liegt es nur daran, daß du nicht an Zuneigung gewöhnt bist. Was weißt du schon davon? Man hat immer nur mit dir geschimpft.«
    »Das muß es sein, Modesta, denn ich träume immer, daß ich deiner, Eriprandos und Carlos nicht würdig bin.«
    »Gut. Jetzt ist es aber genug! Wir haben ihn ganz vergessen, und der Arme wartet unten. Auf, Beatrice, geh zu deinem Carlo. Und fühle dich nicht unwürdig, denn du bist das schönste und liebste aller Mädchen.«
    »Findest du? Aber warum hast du ›dein Carlo‹ gesagt, Modesta?«
    »Weil wir ihn gern haben. Ich hätte ebensogut mein Carlo sagen können. Komm schon, kein Grund zur Aufregung. Wir sind ihm sehr dankbar, nicht wahr? Er hat unseren Eriprando gerettet. Da, siehst du? Ich habe ›unser Eriprando‹ gesagt. Das ist dasselbe, oder?«
    »Genau, unser Carlo und unser Eriprando. O mein Gott! Es ist schon halb sieben, ich muß mich beeilen. Wir erwarten dich zum Abendessen. Quecksilber hat eines deiner Lieblingsgerichte zubereitet, aber ich darf dir nicht verraten, was, du wirst sehen, es ist eine Überraschung.«
    Gerade noch rechtzeitig schloß sich die Tür hinter ihrem Spitzenrock, der

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