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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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Das sagt dir Mimmo, der Tische schreinern kann und flicken … So ist es auch bei dir. Wenn du einmal schwimmen gelernt hast, kann dir diese Kunst keiner mehr nehmen, das sagt dir Carlo.«
    »O verzeiht, Fürstin, habt Ihr geschlafen? Dann lasse ich Euch allein! Entschuldigt, aber Pietro hat mir ausgerichtet, daß Ihr dringend mit mir zu sprechen wünscht. Dann komme ich ein andermal wieder. Wann würde es Euch passen?«
    Das Fräulein Inès stand wie angewurzelt vor dem Fenster und sprach davon, zu gehen, bewegte sich jedoch nicht. Reglos zeichnete sich ihre Silhouette gegen das letzte hereinfallende Licht ab.
    »Entschuldige, Inès, aber ich bin sehr müde.«
    »Natürlich, Fürstin, ich gehe, und verzeiht nochmals.«
    Diese sich in den Fensterscheiben spiegelnde Silhouettewölbte sich in der Taille und um die Hüften. »Nicht, daß du mir einen Streich spielst, Mody? Du mußt abnehmen, auch weil man dir, wenn du so dick bist, deine Herkunft ansieht, iß weniger, Mädchen, wenn es daran liegt!«
    »Nein, warte, Inès, wo du mich einmal geweckt hast. In diesem Haus hat man nie seine Ruhe!«
    »Aber Pietro …«
    »Mach das Licht an, Mädchen. Ich muß dir zwei oder drei Dinge sagen, und angesichts der Lage tue ich das lieber sofort.«
    Im Licht der Lampe konnte ich sie endlich richtig betrachten, aber da sie den Kopf gesenkt hielt, sah ich ihre Augen nicht.
    »Nun, du brauchst nicht wie eine Madonnenstatue herumzustehen. Komm hierher und setz dich in den Sessel. Nein, warte, hol mir erst ein wenig Wasser, ich komme um vor Durst.«
    Ich richtete mich im Bett auf und lehnte mich an das Kopfende wie damals Gaia. Diese große alte Dame! Sie hatte gelähmt im Bett wie auf einem Thron gesessen. Mit ihren Augen verfolgte ich die Bewegungen des Mädchens. Es stimmte, die Taille und die Hüften waren angeschwollen, die eleganten Bewegungen, die so ladylike waren, verschwunden, und ihre bäuerliche Herkunft begann sich zu zeigen. Eine unerwartete Sympathie für dieses Mädchen bemächtigte sich meiner, und beinahe hätte ich angefangen zu lachen … als ich dem Blick ihrer großen, verstörten Augen voll zurückgehaltener Tränen begegnete. Diese Tränen entstellten sie. Nein, das waren nicht meine Augen von einst, ich mußte vorsichtig sein.
    »Also, Mädchen, mir scheint, als ob die Dinge zwischen dir und dem Fürsten über die Verliebtheit hinausgegangenseien, von der mir Pietro in seiner Naivität erzählt hat.«
    Ich hatte den Satz noch nicht beendet, als sie sich (das war wirklich nicht ich!) vor mir auf die Knie warf und unter unzusammenhängendem Gestammel so heftig zu weinen und nach allen Seiten Tränen zu verspritzen begann, daß ich aus dem Bett sprang vor Angst, sie würde sich auf mich werfen. Ohne sie zu berühren – sie tat mir leid, aber ich durfte meine Autorität nicht verlieren –, ging ich zum Schreibtisch und sagte:
    »Komm schon, Mädchen, kein Grund zur Verzweiflung! Nimm dich zusammen! Trink auch du ein Glas Wasser, und dann setz dich, damit wir in Ruhe miteinander reden können, ja, genau so, so ist’s gut.«
    Mit dem Schreibtisch zwischen uns – ein Schutzschild, damit ich sie nicht umarmen und trösten konnte – suchte ich in mir nach einem Kompromiß zwischen Modesta und Gaia, damit das Zittern der Lippen, der Hände und, als ob das noch nicht reichte, der Locken aufhörte. Ich suchte immer noch nach einem Kompromiß, als das Fräulein Inès, von meinem Schweigen wahrscheinlich erschreckt, erneut zu weinen und wie eine Laienschauspielerin zu reden begann. Man verstand kein Wort. Sie trocknete sich die Tränen mit einem weißen Spitzentaschentuch, das sie in den Händen knetete oder in den Ausschnitt ihres Kleides steckte, um es gleich darauf wieder hervorzuziehen und mit verdrehten Augen auf ihr Kußmündchen zu drücken. Ein haarsträubendes Schauspiel! Genau wie im Theater, wenn ich, verwirrt in den Sessel gedrückt, nur darauf wartete, daß die Hauptszene endlich vorbei war. Diderot hatte recht mit seinem »Paradox über den Schauspieler«, und das galt nicht nur auf der Bühne, sondern auch hier im Zimmer. Diese schlechteSchauspielerin ließ sich von ihren Gefühlen zu sehr hinreißen, verlor die Distanz und machte damit aus ihrer Leidenschaft ein peinliches Spektakel. Wie im Theater wollte ich geduldig warten und versuchen, von der Darstellung abzusehen, um wenigstens den Text zu verstehen.
    »Ich wäre von allein gekommen, um zu beichten! Heute noch! Selbst wenn Pietro nicht zu Euch

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