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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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ebenso elfenbeinfarben schimmerte wie ihr Hals und ihre Arme. Nein, das war kein Rock. Vielleicht ein Tuch? Wo fand Beatrice nur all diese Spitzen und Seiden? Gerade noch rechtzeitig hatte sich die Tür geschlossen, als sich ihr der lange hinten im Hals zurückgehaltene bittere Speichel über Zunge und Zähne ergoß. »Quecksilber hat eines deiner Lieblingsgerichte zubereitet.« Sie lief zu dem elfenbeinfarbenen, mit Blümchen übersäten Waschtisch. Auch hier glattes, tanzendes Elfenbein. Die Überraschung war sicher eine Crème, irgendein Crèmepudding. Sie übergab sich auf diese unter ihrem Blick wogende Crème. Es war die Bestätigung der süßen Mattigkeit, die sie seit Wochen ins Bett zog, das von einem Tag auf den anderen behaglich und weich wie die heißen Arme eines Geliebten geworden war, oder sie stundenlang an den Lehnstuhl am offenen Fenster fesselte und die Bäume, den Himmel und das weit entfernte Meer anstarren ließ. Ohne einen weiteren Blick auf das Elfenbein putzte sie sich die Zähne, spülte den Mund aus und betrachtete sich furchtsam im Spiegel: Zwei große Augen schauten sie verwundert und fröhlich an. Die Wangen waren schmaler geworden, aber schon drückten Busen und Hüfte gegen Rock und Bluse. Sie ließ sich in diesem Spiegel zurück und floh, um aufs Meer hinauszuschauen. Sie mußte arbeiten. Hinter ihr, auf dem Schreibtisch, warteten Berge von Papier. Gewaltsam riß sie sich vom Fenster los, setzte sich hin und betrachtete das Tintenfaß, die Feder und die Rechnungen. Von dem bitteren Tintengeruch angeekelt, schloß sie das Tintenfaß und legte den Kopf auf die Arme. Die Wärme ihrer Arme war süß, weich und frisch zugleich, und ihre glühende Stirn fand in dieser angenehmen Kühle Erquickung … Eswar schön, zwischen der Hitze und der Kühle von Sand und Wald zu träumen.
    »Darf ich eintreten, Fürstin?«
    Wieviel Zeit war vergangen? Wahrscheinlich Stunden, und Beatrice rief hinter der Tür nach ihr. Nein, Beatrice nannte sie nicht »Fürstin«, und das war eine männliche Stimme. Carlo?
    »Herein.«
    Pietro stand vor ihr mit der Mütze in der Hand und schaute sie aus seinen runden Augen ausdruckslos von seiner Höhe herab an, den Schädel, glatt wie eine Marmorkugel, respektvoll gesenkt. Was für eine Angst hatte dieser Mann ihr und Beatrice einst eingejagt! Während sie jetzt, wäre da nicht dieses unumgängliche »Fürstin« gewesen, zu ihm gelaufen wäre und ihn umarmt hätte. Ein weiteres Indiz für ihren Zustand: daß sie sich nur danach sehnte, von den starken Armen dieses Mannes, der gut und zartfühlend wie ein Kind war, beschützt, umarmt und gewiegt zu werden. Die Augen waren nicht ausdrukkslos, sie waren nur zu sanft für seinen wuchtigen Körper, und dieser Gegensatz erschreckte. Was machte dieser Mann ohne Frau oder Verlobte, ganz seinem Herrn Fürsten ergeben? Wahrscheinlich masturbierte er und ging nachmittags zu Huren, wie Tuzzu es von seinem Vater erzählt hatte: »Was sollte er als Witwer tun, eine Stiefmutter ins Haus schleppen, um uns alle verrückt zu machen?«
    »Euer Durchlaucht mögen mir die Störung verzeihen, die ich weiß Gott vermieden hätte, wenn es sich nicht um eine Angelegenheit von äußerster Dringlichkeit handelte.«
    »Aber nicht doch, Pietro, du störst nicht. Was für eine dringliche Angelegenheit?«
    »Es ist so … Ich weiß gar nicht, wie ich die Sache angehen soll. Diese Angelegenheit hat weder Hand noch Fuß und ist kompliziert, Fürstin, sehr kompliziert.«
    »Fang einfach an, wo du willst, wie es dir paßt, du weißt ja, daß wir zwei uns verstehen.«
    »Ihr seid zu gut, Fürstin, aber ich fürchte, Euch damit zu verletzen.«
    »Geht es um den Fürsten?«
    »Nein. Es geht um das Fräulein Inès.«
    »Das Fräulein Inès? Was ist mit dem Fräulein Inès, Pietro? Versteht ihr euch nicht mehr, oder warum bist du so verbittert?«
    »Nein, das ist es nicht. Sie ist liebenswürdig, hilfsbereit und dem Herrn Fürsten ergeben, aber …«
    »Pietro, du weißt doch, daß du mit mir reden kannst. Hast du dich etwa in das Fräulein Inès verliebt?«
    »Ich mich in ein so gelehrtes und anständiges Fräulein verlieben? Euer Durchlaucht mögen verzeihen, aber da täuscht Ihr Euch. Pietro ist vernünftig und kennt seinen Platz.«
    »Also, was ist es dann? Du schwitzt ja richtig.«
    »Vielleicht hat die Fürstin in diesen Monaten den Abrechnungen und vor allem den Ausgaben für die ›Zerstreuung‹ meines Herrn Fürsten keine Beachtung geschenkt. Das

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