Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
gegangen wäre … Damit will ich ihm keinen Vorwurf machen. Er hat nur seine Pflicht getan, aber ich, ich … wäre heute oder morgen selbst gekommen! Was ich Euch und Eurem Haus angetan habe, ist entsetzlich, einfach entsetzlich! Ich wäre … ich wäre zu Euch gekommen, um alles zu beichten und dann zu verschwinden, fortzugehen.«
Langsam verstand ich, daß auch der Text abscheulich war.
»Wohin wolltest du denn gehen, Mädchen?«
»Was weiß ich, irgendwohin, um meine Scham und meine Sünde zu verbergen.«
»Versuchen wir vernünftig zu sein, Fräulein Inès. Beruhigt Euch, ich glaube Euch: Ihr wärt selbst gekommen, Ihr bereut alles, aber bitte beruhigt Euch, ja?«
Das Taschentuch verschwand erneut im Ausschnitt ihres Kleides, während sie weiter nervös die Hände aneinanderpreßte, aber wenigstens weinte sie nicht mehr und schaute mich beinahe froh an.
»Danke, Fürstin. Ihr seid gut, das wußte ich, aber ich will Eure Großzügigkeit und Güte nicht ausnutzen, deren ich nicht würdig bin. Morgen früh verschwinde ich!«
Das hatte sie sich in den Kopf gesetzt, zu verschwinden, aber ich mußte vorsichtig sein: Wenn die da verschwand, wem vermachte ich dann meinen Fürsten Ippolito?
»Inès, wir kennen uns jetzt schon lange. Ich schätze Euch. Warum setzt Ihr Euch weiter so zu? Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein, so steht es geschrieben. Ich bin nicht diejenige, die Euch vergeben muß, sondern unser Herrgott. Es ist nicht an mir, Euch zu richten.«
Bei ihr wie bei mir zeigte dieser Tonfall sofort Wirkung: Sie lächelte demütig und beinahe strahlend, während ich jede Sympathie für dieses blökende Lockenköpfchen verlor.
»Ach, o weh, Fürstin, mir fällt ein Stein vom Herzen.«
Schon den ganzen Nachmittag fielen dank meiner irgendwem irgendwelche Steine vom Herzen, ich hatte genug davon.
»Natürlich schmälert das meine Schuld nicht, und ich werde Gott mit immer neuen Gebeten um die Vergebung bitten, die Ihr mir voller Güte zugestanden habt.«
»Gut, Inès, bete! Tu nichts anderes, reg dich nicht auf, weine nicht, verschwinde nicht, sondern bete! Das allein zählt!«
»Also darf ich bleiben?«
»Seit einer Stunde versuche ich, dir das zu sagen, Inès.«
»O Fürstin, danke, vielen Dank!«
Ich hielt mich mit aller Kraft am Schreibtisch fest, um sicherzugehen, daß er mich vor ihren Dankesbezeugungen schützte.
»Gut, Mädchen. Aber leider müssen wir jetzt über deinen Zustand reden. Wir haben keine Zeit zu verlieren. In welchem Monat bist du?«
»Ich glaube, im dritten, Fürstin. O mein Gott, ich schäme mich, ich schäme mich so!«
»Ruhig, Inès, fang bitte nicht von vorne an. Es ist nicht schlimm, für einen guten Arzt ist das eine Kleinigkeit.«
»Ein guter Arzt? O nein, Ihr seid zu großherzig! Ein Arzt bei der Entbindung ist Luxus, mir reicht eine Hebamme. Bei mir zu Hause haben die Frauen …«
»Was habt Ihr denn verstanden, Inès? (Sowohl Modesta als auch Gaia verloren langsam die Geduld.) Willst du es etwa behalten, das Kind de…«
»Ja, Fürstin, ich weiß, das Kind der Sünde.«
»Sünde hin oder her, Inès, komm zu dir! Das Kind eines Mongoloiden, Herrgott noch mal! Du bist Krankenschwester und weißt, was das bedeutet, oder nicht?«
»Natürlich, Fürstin, aber dieses Wesen atmet in mir. Und wenn Gott will, daß es mir zur Strafe so geboren wird wie sein Vater, ist das ein Zeichen für mich, nicht nur im Gebet, sondern mit ihm vor Augen büßen zu müssen. Dieses Kind wird mein Kreuz sein, wie es unser Erlöser zu tragen hatte.«
»Wir müssen büßen und beten, Modesta.« Seit Jahren hatte ich Madre Leonoras Stimme nicht mehr gehört. Und während diese Worte langsam wie abgegriffene Perlen eines Rosenkranzes zwischen verschwitzten, nach Weihrauch riechenden Fingern von ihren herzförmigen Lippen glitten, mußte ich den Mund voll saurem, bitterem Speichel fest zusammenpressen, um mich nicht zu übergeben. Ich senkte den Kopf. Das Tintenfaß war geschlossen, die Federhalter lagen, fein säuberlich aufgereiht, nebeneinander, und Briefe und Rechnungen erwarteten mich. Ich mußte arbeiten, mindestens eine Stunde. Mit Mühe schluckte ich den Speichel und den zuckrigen Rosenkranz hinunter und sprang auf.
»Jetzt reicht es aber, Mädchen! Erst Tränen und Entschuldigungen und jetzt diese unerhörte Anmaßung! Schluß damit! Du erwartest doch nicht etwa, daß ich dich das Kind des Fürsten, meines Mannes, austragenlasse? Ich meinte keinen Arzt für die Entbindung,
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