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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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angemacht. Eben noch blaß, war sie jetzt so rot wie während ihres Fiebers. Und obwohl ich ihre Arme gut festhielt – ich wollte nicht, daß sie mich umarmte –, gelang es ihr, meinen Kopf zu packen und mich mit vielen kleinen Küssen zu übersäen. Im Handumdrehen umarmt sie mich und küßt mir die Stirn, den Mund und den Hals, während Tränen zwischen unseren Gesichtern herablaufen. Von oben herab – wieso ist sie so groß, größer als ich? – flüstert sie, ohne meinen Kopf loszulassen:
    »In dem Moment war ich so überrascht, daß ich ihn habe gewähren lassen. Wer hätte das von einem so anständigenJungen wie Carlo gedacht? Du etwa? Aber dann habe ich ihn sofort, glaub mir, Modesta, sofort weggejagt und will ihn nie wieder sehen! Wer hätte das gedacht? Er hat mich ganz genauso geküßt wie du. Die Großmutter hatte recht, die Männer sind alle gleich!«
    Quecksilber stand mit vor Neugier weit aufgerissenen Augen in der Tür und wagte weder einzutreten noch die Tür zu schließen. Auch sie war leichenblaß. »Diese empfindlichen Mädchen, werden nach Belieben blaß und rot, und mit Tränen und Ohnmachten lenken sie dich wie eine Marionette.« Ja, lieber Mimmo, dazu werden sie erzogen, wie der gute Genosse Bebel sagt. Man muß Geduld haben.
    »Was ist, Quecksilber? Hast du ein Gespenst gesehen? Darf man fragen, was los ist?«
    »Nichts, gar nichts, Fürstin, nur, daß der Herr Doktor wie eine Furie davongestürmt ist.«
    »Er wird zu tun gehabt haben.«
    »Natürlich. Ein so vornehmer Herr, es ist nur, das Soufflé …«
    »Zum Teufel mit dem Soufflé! Ihr könnt es in der Küche essen, und jetzt verschwinde!«
    »Aber das Abendessen?«
    »Mach die Tür zu und verschwinde! Siehst du nicht, daß es Beatrice nicht gut geht?«
    »Aber …«
    »Kein aber! Heute abend wird nicht gegessen. Davon stirbt keiner, wir sind alle erwachsen und wohlgenährt, Quecksilber. Willst du wohl diese verdammte Tür zumachen und uns in Ruhe lassen?«
    »Natürlich, Fürstin, entschuldigt.«
    Noch so ein Frauchen! Tödlich beleidigt wegen ihres zusammengefallenen Soufflés.
    »Ich habe dir doch gesagt, daß du gehen sollst, oder muß ich dich ganz aus dem Haus jagen?«
    Da lächelt sie demütig und verschwindet hinter der endlich geschlossenen Tür. In der Zwischenzeit bewegt sich mein Magen in mir kichernd wie ein betrunkener Alter. Nein, das war nicht mein Magen. Cavallina drückte sich immer fester an mich, das Gesicht zuckend an meinem Hals vergraben. Unvorhersehbare Cavallina, in meinen Armen war sie wieder klein geworden. Wie schaffte sie es, nach Belieben groß und winzig klein zu erscheinen? Jetzt lachte sie so heftig, daß sie beinahe zu ersticken schien.
    »Was gibt es denn jetzt zu lachen?«
    »Ich lache, weil ich an Quecksilbers Gesicht gedacht habe, als du geschrien hast. Wie komisch sie aussieht, wenn sie Angst hat, ihr Gesicht wird dann rund wie ein Ei und der Mund eine nach unten gezogene Linie. O mein Gott, sieht das komisch aus! Wie eines der Gesichter, die Eriprando überall hinmalt. Früher hatte ich auch Angst vor dir, aber dann habe ich begriffen, daß du genau wie Großmutter Gaia bist, erst bellst du, und dann … Aber das machst du richtig. So respektiert man dich, mir gelingt das nicht. Wenn du nicht wärst, würde die mir auch noch das Schlüsselbund vom Gürtel nehmen, und dann gute Nacht! Dann würde sie sich hier im Haus noch mehr als Herrin aufspielen.«
    Ach ja, Cavallina trug die Schlüssel der Schubladen und Schränke aufgereiht auf einem großen Goldring zusammen mit einigen Gold-, Silber- und Elfenbeinanhängern an ihrem Gürtel. Es gab auch ein Korallenästchen, einen Mohrenkopf mit Turban, eine kleine Hand aus Elfenbein … nein, dieses Händchen war nicht aus Elfenbein, sondern aus Silber. Wie es in früheren Zeiten die Tante,die Großtante und die Großmutter getan hatten. Die zarte Taille reckte sich stolz, wenn sie den Ring am Gürtel trug. Die Schlüssel waren Medaillen, Auszeichnungen eines verborgenen Krieges, das Zeichen ihrer Macht über uns.
    »Du wirst mir zu schwer, Cavallina!«
    »Wie schön, du hast mich Cavallina genannt, sag es noch einmal! So hast du mich schon lange nicht mehr genannt.«
    Wieso gefiel ihr dieser Spitzname, der in meinen Ohren wie eine Verurteilung klang?
    »O Modesta, sag es noch einmal, los! Es klingt so schön, wenn du es sagst!«
    »Na gut, Cavallina, aber du lehnst schwer an meiner Brust, und ich bin müde.«
    Nicht, daß diese kleine Cavallina es sich

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