Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
Minuten, und ich würde sie aus dem Fenster schmeißen.
»Modesta, weißt du, ich habe nachgedacht.«
»Worüber?«
»Nun … über Carlo. Natürlich ist das, was er gestern getan hat, unmöglich, ein unmögliches Verhalten für einen anständigen Mann, aber … ich muß ehrlich zu dir sein, Modesta, ich habe ihn gern.«
Ich traute meinen Ohren nicht, war es möglich, daß sich alles so schnell klärte?
»Ich habe ihn sehr gern. Und obwohl ich weiß, daß Großmutter Gaia mir nie, nie, nie verzeihen würde, wenn ich dich verließe … wo du dich für uns aufgeopfert hast, und außerdem hinke ich und …«
Ich hatte sie nie über etwas reden hören, das sie persönlich betraf. Während sie sprach, wurden ihre Züge wieder lebendig und hübsch. Wenn dieses Wesen, das mir aus dem Bauch in die Brust und die Schultern aufstieg, ein Mädchen wäre, würde es sicher hübsch. Ein Mädchen, so zart und elegant wie Carlo … Ich wandte den Blick von diesen immer noch größeren und leuchtenderen Augen ab, die mich wie der Meeresgrund anzogen,und ein Blick auf den fernen Grund meiner Zukunft verriet mir, daß diese Mattigkeit ein Junge würde, entstanden aus Beatrice und Carlo. Nein, ich wollte dieses Kind nicht. Ich bewunderte Carlo, aber ein Kind von ihm war etwas anderes.
»Du antwortest mir nicht, Modesta? Denkst du, daß auch das unmöglich wäre?«
»Entschuldige, Beatrice, ich war abgelenkt. Gestern habe ich nichts geschafft, und heute habe ich die doppelte Arbeit. Verzeih, was hast du gesagt?«
»Natürlich, ich weiß, daß du viele Sorgen hast, verzeih du mir. Ich habe gesagt, daß man, oder besser, daß du mit Carlo sprechen und ihm die Situation erklären könntest, damit wir Freunde bleiben. Oder findest du zu schlimm, was er getan hat?«
»Aber nicht doch, da ist nichts Schlimmes dabei, die Zeiten ändern sich, Beatrice, und wenn er dich geküßt hat …«
»Nein, sag das Wort nicht!«
»Na gut. Aber wenn er das getan hat, was er getan hat, dann nur, dessen bin ich mir sicher, weil er dich liebt, und nicht, weil er ein unmoralisches Ungeheuer ist, wie Großmutter Gaia behauptet hätte. Das weiß ich genau. Carlo ist ein Ehrenmann, Beatrice, er ist klug, ein Arzt, arbeitet hart, und wenn er um deine …«
»Nein, Modesta, nein!«
»Und warum nicht, wenn du ihn liebhast?«
»Warum nicht? Darum! Und außerdem ist er nicht adelig, was würde man in Catania dazu sagen …«
»Dann lassen wir sie eben noch einmal Anstoß nehmen, wie Onkel Jacopo sagt. Nein, wir werden uns über ihre Empörung amüsieren, wie damals in der Oper. Erinnerst du dich an ihre komischen, verwirrten Gesichter?Sie wußten nicht, ob sie uns anschauen und grüßen sollten. Erinnerst du dich, wie wir die ersten Male mit Carlo darüber gelacht haben?«
»Ja, das stimmt. Später haben sie sich daran gewöhnt. Also redest du mit Carlo? Sprich mit ihm … aber nur Freundschaft, darauf mußt du bestehen, nur Freundschaft. Mach, daß er wiederkommt, Modesta.«
»Natürlich, Beatrice. Ich werde mit Carlo reden. Auch wenn ich sicher bin, daß sich Onkel Jacopos Worte bewahrheiten werden, erinnerst du dich?«
»Nein, was hat er gesagt?«
»Er hat gesagt: Auch unsere Beatrice wird einmal einen Mann finden, der ihrer würdig ist.«
»Ach ja, stimmt! Auf Carmelo hat er das gesagt, aber damals war ich noch klein. Seitdem ist so viel Zeit vergangen, daß ich es vergessen habe. Du hast ein gutes Gedächtnis, was hat er genau gesagt? Erzähl es mir, Modesta …«
»Hör zu, Inès. Wir diskutieren jetzt schon seit zwei Stunden, und ich bin sehr müde. Die Zeit drängt, und wenn der Arzt recht hat … wenigstens die Monate hättest du selbst ausrechnen können, oder? Eure Mütter bringen euch wirklich gar nichts bei!«
»Ich bin Waise, Fürstin.«
»Na gut. Wenn der Doktor recht hat, bist du bald im fünften Monat, und ein Schwangerschaftsabbruch kann gefährlich werden. Du mußt dich entscheiden. Jetzt ist es zehn Uhr, um zwölf habe ich einen geschäftlichen Termin unten in Catania. Zum Abendessen bin ich ebenfalls verabredet, und ob wir uns morgen sehen können, weiß ich nicht, denn wenn das Abendessen zu lange dauert, bleibe ich in Catania und übernachte bei Anwalt Santangelo.«
»O Fürstin, ich weiß nicht, was ich machen soll! Ich habe Angst, große Angst! Im Kloster habe ich schreckliche Dinge sowohl über Abtreibung als auch über die Geburt gehört und kann mich nicht entscheiden.«
»Weibergeschwätz, Inès, sei vernünftig, die
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