Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
sondern für …«
Ich konnte den Satz nicht zu Ende sprechen, weil sie mit unerwarteter Behendigkeit aufsprang und wie eine vom Licht geblendete Fledermaus durch das Zimmer zu rennen begann. Diese Szene war nicht schlecht, und ihr gelang es, sowohl mich als auch Gaia zum Schweigen zu bringen, nicht zuletzt weil sie so aufgebracht flatternd richtig hübsch und lebendig aussah. Ich stützte die Ellenbogen auf den Tisch und das Kinn in die Hände: Mich interessierte, wie viele Runden durch das Zimmer sie schaffen würde, unter Ausrufen wie: »O mein Gott! Was für eine Sünde! Eine Seele töten! O nein, eher brächte ich mich um … Ins Meer! Ich stürze mich lieber ins Meer, als …«
Diese Art getanzter Fuge, der das weiße Taschentuch vorauseilte, verzauberte mich wie die Paillettenkleider der Kunstreiter im Zirkus. Sie tobte sich aus, und ich dachte: Soll ich sie stoppen? Ihr zwei Ohrfeigen geben und sie nach Hause zurückschicken? Und Ippolito? Was mache ich mit Ippolito? Eigentlich ist sie ja reizend und kämpft auf ihre Weise für ihren verrückten Lebenswillen, so wie ich es seinerzeit getan hatte. Sie war kein Feigling, wie ich gedacht hatte. Auf ihre Art, liebe Gaia, weiß sie, daß sie für das Funktionieren dieses Hauses notwendig ist, und hat uns den Mund verschlossen: Schachmatt! Außerdem braucht man Mut, um mit dem »Ding« ins Bett zu gehen! Wer weiß, ob ich diesen Mut damals gehabt hätte?
Ein letzter Schrei, und plumps, fiel sie zu Boden. Ich hatte gewußt, daß diese Ohnmacht früher oder später kommen würde, sie war obligatorisch. Sehr elegant war sie nicht hingefallen, aber das erlaubte mir einen Blick aufdie vollkommen geformten Beine und die runden Arme mit Handgelenken, so schmal wie die eines Kindes … An einem Handgelenk trug sie eine kleine, sehr hübsche Uhr. Es gelang mir nicht, sie aufzurichten, weil sie zuviel wog, und ich wußte nicht, was ich tun sollte. Noch nie hatte ich ein ohnmächtiges »Fräulein« in den Armen gehalten. »Falls Ihr Euch nicht gut fühlt, mein Fräulein, findet Ihr dort in der Lehne das Riechsalz.« Riechsalz? Ich hatte keins. Vielleicht kaltes Wasser. Ihre von weitem wie Marmor wirkenden Schultern und Arme fühlten sich unter meinen Händen verführerisch weich an. Mein Herr Gemahl, der Fürst, hatte Geschmack! Mir waren – wie euch ja auch – Zweifel gekommen, daß das Kind wirklich von dem »Ding« sei, und ich hatte mir geschworen, das genau zu prüfen. Aber jetzt weckte ihr bleiches Gesichtchen in meinem Arm in mir den Eindruck, daß diese Inès zwar einen eigenen, verrückten Willen hatte, aber nicht den Mut zu lügen. Ich versuchte sie leicht zu schütteln, aber es war nichts zu machen. Diese weiche, nach Puder duftende Haut zog mich an, und wenn ich nicht meine Autorität vor ihr und den anderen hätte aufrecht erhalten müssen, hätte ich sie an meinen Busen gedrückt und überall geküßt. Achtung, Modesta! Schutzlose Fräulein sind schon immer eine Gefahr für dich gewesen … Ich wollte sie gerade wieder auf den Teppich legen und Quecksilber rufen, als sie plötzlich ihr süßes Lammköpfchen hob, sich an meinen Hals klammerte und mich aus zwei weit aufgerissenen, glänzenden Augen anstarrte.
»Nein, Fürstin, jagt mich nicht fort! Ich wäre zu Euch gekommen und hätte alles gebeichtet! Wirklich, das schwöre ich Euch!«
»Natürlich, Inès, dessen bin ich mir sicher, aber jetzt steh auf, du wiegst ganz schön viel, mein Kind …«
»Wo bin ich überhaupt? Was ist passiert? Mein Gott! Ich liege ja mit nackten Beinen hier vor Euch!«
Ach ja, auch die vollen, festen Schenkel gingen in zwei zarte, anmutige Fesseln über.
»Das ist nichts, Inès, ein kleiner Schwächeanfall. Aber jetzt ist es vorbei. Nimm dich zusammen, geh und leg dich hin …«
»Wie gütig Ihr seid, Fürstin!«
»Und denk gut über deine Entscheidung nach, denn später will ich weder Gejammer noch Tränen, verstanden? Wenn du dieses Wesen, das in dir atmet, behalten willst …«
»O ja, Fürstin!«
»Denke gut darüber nach, denn es ist das Kind eines Schwachsinnigen.«
»Der Fürst ist gar nicht schwachsinnig, Fürstin, er ist gutmütig und versteht vieles.«
Jetzt war sie beleidigt: Das Näschen in die Luft gestreckt, nahm sie eine reservierte, strenge Haltung ein. Es beleidigte sie, wenn jemand das Objekt ihrer Verliebtheit angriff.
»Außerdem ist Eriprando gesund und intelligent.«
Da, sie hatte mir den Mund verschlossen. Gaia knurrte so laut in mir, daß ich
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