Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
Vom Netzwerk:
in ihr zerstreutes, aber hartnäckiges Köpfchen gesetzt hatte, mich die ganze Nacht hier mitten im Zimmer auf den Beinen zu halten?
    »Läßt du mich bei dir schlafen, Modesta? Bitte, laß mich bei dir schlafen. Schon seit Monaten willst du nicht. Heute abend habe ich solche Angst, bitte, bitte.«
    »Angst wovor?«
    »Angst, mich an die Enttäuschung zu erinnern, die Carlo mir bereitet hat.«
    »Warum Enttäuschung?«
    »Weil ich ihn für einen ehrbaren Mann gehalten habe! Ich kann einfach nicht vergessen, mit welcher Dreistigkeit er mich geküßt hat. Das war schrecklich, und ich habe Angst! Laß mich bei dir schlafen!«
    »Na gut. Zieh dich aus, und ab ins Bett. Ich kann wirklich nicht mehr!«
    Im Handumdrehen hatte sie sich ausgezogen. In einemmeiner Nachthemden trat sie wieder ins Zimmer und legte sich vorsichtig unter die Decken.
    »Darf ich dich umarmen?«
    Ihr Kopf lag in der Beuge zwischen meinem Hals und der Schulter, die feinen Haare streiften mein Kinn, und die auf meinem Busen ruhende Hand … – Wer nicht schläft, kriegt’s auf den Po – Nein, dieses Schlaflied durfte ich nicht singen. Ihre Hand lag ruhig auf meinem Busen, kein Zittern ging von der kühlen Handfläche aus. Beatrice hatte keinen Durst, und ich war nicht mehr ihre Tata, sondern ihre Schwester. Das war richtig so. Und ich mußte mit ihr von Schwester zu Schwester reden.
    »Hör mal, Cavallina, eigentlich war dieser Kuß von Carlo …«
    Sie antwortete nicht. Im Schein der Lampe betrachtete ich sie: Sie schlief so friedlich wie Eriprando früher, nachdem ich ihn abends gestillt hatte.
    Ein greller Lichtschrei sprang von der Decke herab. Die Sonne war geboren, und in ihrem Licht glänzten die Kacheln und das Messing im Bad freudig. Aber diese Sonne log und stand im Gegensatz zu der Mattigkeit, die sich von meinem Bauch aus in Brust, Arme und Wangen ausbreitete. Ich mußte mich beeilen. Schon bald würde diese Mattigkeit mit ihrem verrückten Lebenswillen meine Stirn erreichen, und dann war jeder Widerstand zwecklos. Nach einem heißen Bad zog ich mich an, um auszugehen. Dann kehrte ich in die Nacht zurück, die noch träge bei Beatrices zartem, zusammengekauertem Körper verweilte. Sie hatte sich nicht bewegt, oder nur so viel, um das Kissen zu umarmen. Schlief sie?
    »Nein, Modesta. Du bist ja schon angezogen. Komm hierher zu mir, es ist noch früh, und ich bin so müde.«
    »Es ist Morgen, Beatrice, und gestern waren wir schon um neun Uhr im Bett.«
    »Ich habe Hunger!«
    »Das glaube ich. Läute die Glocke, es wird uns guttun zu frühstücken.«
    »Nein, ich komme nicht an die Glocke, läute du, Modesta, ich bin müde.«
    Es war nicht der Augenblick, um zu diskutieren oder Gehorsam zu fordern. Ich hatte es eilig und mußte den Arzt finden, den Gaia mir damals empfohlen hatte, oder irgendeinen anderen.
    »Guten Morgen, Fürstin! Oh, Ihr habt die Gardinen schon aufgezogen! Das tut mir leid. Hättet Ihr einen Moment gewartet, hätte ich das getan, es tut mir leid …«
    »Natürlich, Quecksilber! Es ist alles in Ordnung, keine Sorge. Laß das Tablett hier, und geh wieder hinunter. Geh hinunter, habe ich gesagt. Ich bin in Eile! Und laß die Kleider, die kannst du später ordnen. Ich habe dir doch gesagt, daß ich es eilig habe, los, verschwinde!«
    »Wie Ihr wollt, Fürstin.«
    Unter den Sonnenstrahlen entzünden sich Beatrices Haare in hundert Farben. Sie versteckt das Gesicht im Kissen.
    »Hier ist es zu hell, Modesta, mir tun die Augen weh. Bitte, zieh die Vorhänge wieder zu. Warum hast du sie so weit geöffnet?«
    Ich zog die Gardinen zu. Man mußte vorsichtig sein. Wie erwartet, war ihre Stimme schrill und eintönig geworden, ein Zeichen der Lustlosigkeit und Traurigkeit, die sich ihrer langsam bemächtigten. Schon bald würde sie wieder schwerelos durch die Zimmer gleiten wie damals, als Carlo verschwunden war. Kein zweites Mal könnte ich dieses Gesichtchen ertragen, das in nur einerNacht – wie war das möglich? – so dünn geworden war wie nach Tagen des Fastens.
    »Komm schon, Beatrice, schau mal, was für ein wunderbares Frühstück! Da ist auch die Orangenmarmelade mit den Fruchtstückchen, die du so magst … Nein, nein, ich trinke nur Kaffee.«
    »Warum nur Kaffee? Du läßt mich allein essen. Iß wenigstens ein wenig Brot und Butter, es macht mich traurig, wenn ich allein essen muß, puh!«
    »Na gut, schau mal, was für eine dicke Scheibe ich mir streiche, bist du jetzt zufrieden?«
    Ich ertrug das nicht, noch zehn

Weitere Kostenlose Bücher