Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
Zeiten haben sich geändert. Mit einem guten Arzt und einer guten Betäubung ist eine Abtreibung kein Problem mehr. Und was die Geburt angeht, alle Frauen gebären. Ich habe auch ein Kind bekommen, oder? Und stehe ich nicht gesund und munter vor dir?«
»Natürlich, Fürstin.«
»Ich wiederhole, du wirst die nötige Hilfe bekommen, ob du dich nun für oder gegen das Kind entscheidest. Aber denk daran, daß du dich versündigst, wenn du dich dagegen entscheidest.«
»Ich lebe doch sowieso schon in Sünde.«
Unglaublich, diese kleinen Gottesseelen! Sie nahmen das Wort Sünde und warfen es in die Luft wie Zirkusjongleure ihre weißen, leichten Bälle. Wenn mich nicht der Arzt erwartet hätte, hätte ich mit Vergnügen die hundert Bewegungen dieser Bälle beobachtet. Eine Sünde, daß sie aus diesen zarten Händen auf den Kopf, die Brust und die Arme sprangen, um dann gehorsam in die geöffneten Händchen des Fräulein Inès zurückzukehren, dieses in Acireale geborenen Waisenkindes, das, wer weiß, wie, in einem Turiner Kloster gelandet war.
»Willst du nach einer Todsünde eine weitere begehen? Und dann denke ich, daß die Angst vor der Geburt vorzuziehen ist, wenn man beide Ängste miteinander vergleicht. Sei vernünftig, bleibe bei dieser reinen, unbeflekkten Angst, und folge Gottes Willen. Denk daran, daß eine Abtreibung etwas Furchtbares ist für Körper und Seele.«
Hört nur, was mich das Fräulein Inès sagen ließ! Andererseits konnte ich nicht anders. Carlo zufolge konnte sie bei der Abtreibung sterben, wenn man nicht genau wußte, in welchem Monat sie war.
»O Fürstin, Ihr seid eine wahre Christin! Während ich, ich … auch die Mutter Oberin hat das immer gesagt, ich bin nicht gut. Obwohl ich immer bete, schaffe ich es nicht …«
»Dann vertrau mir.«
»Natürlich, wie ich Mutter Antonia vertraut habe!«
»Gut, dann geh, und Gott steh dir bei, mein Kind. Nein, kein Handkuß, hinaus mit dir, es ist schon spät.«
Trotz des Schreibtisches, den ich inzwischen selbst im Schlaf zwischen mich und das Fräulein Inès stellte, versuchte sie jedesmal, mich zu berühren. Ich sprang auf, damit sie sich mir nicht näherte, und sah stocksteif zu, wie sie endlich zur Tür ging. Die Hand schon auf dem Knauf, der so weiß und zart war wie ihre Haut, drehte sie sich unsicher um:
»Und … wegen der Hinterlassenschaft, Fürstin, ich schäme mich, aber da ich Waise bin und Ihr versprochen habt …«
»Es ist alles geregelt, Inès, das war nicht nur ein Versprechen. Morgen fährst du mit Pietro nach Catania zu Anwalt Santangelo. Er wird dir ein Schriftstück über das Haus und den Unterhalt vorlesen und dich unterschreiben lassen, ebenso einen Abschnitt aus meinem Testament, der dich betrifft, falls es in Zukunft Schwierigkeiten geben sollte.«
»Oh, Euer Testament, mögt Ihr nie …«
»Das wird nicht geschehen, Inès! Keine Sorge.«
Dieses unheilvolle Gesicht mit dem kaum angedeutetenLächeln ließ mich erstarren. Noch nie war mir das passiert, aber kaum war sie aus der Tür, klopfte ich auf Holz und kreuzte die Finger. Auch weil mich ein kleines, sauberes Zimmer mit rosafarbenen Gladiolen und dieser Betrüger Doktor Modica erwarteten.
50
Nach langem Schweigen nahm Beatrice Carlos Heiratsantrag an, aber nur unter der Bedingung – da war sie unerbittlich –, daß alles den Traditionen gemäß vonstatten ging.
»Ich darf ihn nicht sofort sehen. Richte du ihm meine Entscheidung aus. Er kann gewiß sein, denn dir, die du mir Vater, Mutter und ältere Schwester bist, habe ich versprochen, seine Braut zu werden. In drei Tagen werde ich ihn wie vorgeschrieben in deiner Gegenwart und der eines Notars treffen, der die Verlobungsurkunde aufsetzt. Sofort nach der Zusammenkunft muß ich gehen.
Danach darf er drei Monate lang jeden Tag kommen, aber im zuverlässigen Licht des Nachmittags und nicht bei Dunkelheit, die ein schlechter Ratgeber ist. Und auch jeweils nur zwei Stunden entweder in deiner Gegenwart oder in der einer von dir beauftragten Person, wenn du viel zu tun hast. In diesen drei Monaten müssen wir ernsthaft über unsere Zukunft reden und uns kennenlernen. Natürlich ist das nicht sehr lang. Aber da es in unserer Familie in letzter Zeit keinen Trauerfall gegeben hat, die Zeiten sich, wie du richtig sagst, geändert haben und Carlo und ich uns schon ein wenig kennen, bin ich mit drei Monaten Verlobung einverstanden.
Falls in diesen drei Monaten entweder Carlo oder ich merken sollten, daß wir von
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