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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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zwischen uns bereits einen unüberwindbaren Abstand geschaffen hatte.
    »Komm zurück! Ich will dich sehen, Carmine!«
    Langsam kehrte der Schatten zu mir zurück.
    »Hier bin ich, schau mich an.«
    »Es ist dunkel.«
    »Ich sehe dich. Hast du Angst, oder warum zitterst du?«
    »Mir ist kalt, Carmine.«
    »Das ist die Kälte des Sonnenaufgangs, Figghia, geh nach Hause.«
    »Bis nach Hause ist es weit. Wie du mir einmal gesagt hast: Hinunter geht es leicht, aber hinauf …«
    »Daran erinnerst du dich?«
    »Ich erinnere mich an alles. Wie einen Hasen hast du mich damals in den Feldern aufgespürt.«
    »Genau, und wie ein Hase bist du gerannt.«
    »Bring mich auf Orlando nach Hause, so wie damals.«
    »Zu Diensten, Padroncina.«
    »Wir sind noch nie nachts geritten, Carmine.«
    »Nein.«
    »Es ist schön nachts. Schade, daß wir das nie gemacht haben.«
    »Dazu ist immer noch Zeit, jedenfalls für dich.«
    Er hatte die Arme um mich gelegt, und seine Brust brannte an meinem Rücken. Schon liefen mir Schweißtropfen vom Hals über die Schultern. Warum schwieg er und ritt so langsam? Ich wollte ihn anschauen, im Licht anschauen.
    »Warum reitest du so langsam?«
    »Um in deiner Nähe zu sein und aus Rücksicht auf den armen Menelik. Siehst du, wie er sich hinter Orlando herschleppt?«
    »Laß ihn hier. Er kennt den Weg, und ich bin müde und friere.«
    Ich sah ihn im Säulengang unter dem Licht der großen, mondförmigen Lampe, ein blasser Mond, der von Sonnenuntergang bis -aufgang immer brannte.
    »Da sind wir. Ich gehe jetzt.«
    Nein, das Licht reichte nicht aus, ich wollte ihn sehen und ausspionieren.
    »Was willst du schon sehen, Figghia? Um diese Uhrzeit kannst du keinen Mann empfangen.
    »In diesem Haus bin ich die Herrin. Komm herein.«
    »Da du mich einmal hast eintreten lassen, darf ich rauchen?«
    »Natürlich.«
    »Die Fürstin, Gott hab sie selig, hat das nicht erlaubt. Sie sagte immer, daß danach alles stinkt.«
    »Ich mag Tabakduft.«
    Während er den Tabakbeutel hervorholte und die Pfeife stopfte, schaute ich ihn an. Vergebens suchte ich in seinenZügen, zwischen den Falten nach einem Zeichen des Todesurteils: kein Mal, keine tiefere Falte oder ein Zittern der Hände. Dieser Mann aus Eisen, der den Tabak so ruhig mit dem Daumen zerdrückte, als verginge die Zeit genauso langsam und gleichmäßig wie vor seiner Verabredung mit dem Tod, saß mir gegenüber wie damals, und wie damals weckte sein Anblick in mir gleichzeitig ein Gefühl von Geborgenheit und Angst. Er würde jetzt nicht mehr sprechen oder seinen Blick heben, bis eine kleine Glut zwischen seinen langen, sorgfältigen Fingern aufglomm.
    »Eins nach dem anderen, Figghia. Wenn man alles gleichzeitig macht, verliert man den Geschmack am Leben: eine gute Tasse Kaffee, der Tabak, dein Speichel … Langsam will ich deinen Mund schmecken, langsam.«
    Ob er gelogen hatte? Nein, Carmine war ein Ehrenmann. Ich mußte zu ihm gehen und ihn aus der Nähe betrachten, aber sein Gesicht war hinter Rauchwolken verborgen. Zumindest dieses Gesicht berühren.
    »Begehrst du mich, Figghia, oder warum tastest du mich ab, als könntest du mich nicht sehen? Willst du mich etwa immer noch? Das hätte ich nie zu hoffen gewagt! Ich begehre dich sehr, möchte aber deine Wünsche nicht durchkreuzen.«
    Stocksteif vor Überraschung – woher sollte ich das wissen, wenn er es mir nicht sagte? –, kann ich mich weder rühren noch sprechen. Ich habe ihn umgebracht und will seinen heißen, schweren Körper auf meinem spüren. Ich muß ihn verjagen, mit erhobenen Fäusten auf dieses Gesicht einschlagen, das, obwohl ausgelöscht, lächelnd vor mir erscheint. Aber ich habe den Augenblick verpaßt, und schon heben mich seine Arme mühelos hoch, der Haß vergeht und läßt nur eine angenehme Müdigkeit in Körper und Geist zurück.
    »Was ist, Figghia, weinst du? Früher bist du wütend auf mich geworden und hast mich gekratzt. Hast du so sehr gelitten?«
    »Ich habe nicht gelitten, und ich hasse dich!«
    »Das ist gut so. Aber schämen mußt du dich nicht. Man braucht sich seines Leids nicht zu schämen, wenn sich das Schicksal gegen einen stellt. Auch ich, und ich war schon alt, habe darunter gelitten, dir das Unrecht antun zu müssen, dich heiß, wie du unter meinen Händen geworden warst, zurückzulassen. Aber in diesen drei Nächten, die ich hier herumgestreift bin, war ich mir sicher, daß du jemanden an deiner Seite hast, und habe nicht zu hoffen gewagt. Auch deshalb war ich

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