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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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überall herumzutreiben und zu den leichten Mädchen zu laufen, wo Lust bezahlt werden muß. Aber um überhaupt ein wenig Lust zu empfinden, habe ich im Geist deinen Namen wiederholt. Jetzt weißt du alles. DieEntfernung ist ein Lehrmeister: Deinen Namen habe ich gelernt. Je öfter ich ihn sagte, um so schöner erschien er mir. Aber ich habe zuviel geredet. Verstehst du das nicht? Oder bist du zu jung, um zu verstehen, daß du so ruhig an meiner Schulter schläfst?«
    »Ich schlafe nicht, Carmine, ich liege nur gern hier und höre mir an, wie du mich begehrt hast und immer noch begehrst, ohne dir sofort das zu geben, was du willst.«
    »Du bist eine Frau! Deshalb habe ich nichts sagen wollen. Meine Worte haben dir Macht gegeben, und jetzt willst du dich rächen. Aber Carmine kann dir die Genugtuung verschaffen, ihn warten zu lassen.«
    »Bei den leichten Mädchen hast du meinen Namen gesagt?«
    »Ich habe ›Modesta‹ gesagt und sie nicht angeschaut.«
    »Sag es noch einmal.«
    »Modesta!«
    »Noch einmal!«
    »Modesta!«
    »Noch einmal!«
    »Modesta, du machst mich verrückt!«
    »Und jetzt sag: ›Modesta, meine Goldmine‹!«
    »Meine Goldmine, Modesta, ich will in dich bis zum Herzen eindringen.«
    Aus seinem Mund vernommen, verliert das Wort Herz für mich die Zweideutigkeit, die es mich früher hassen ließ. Und ich sehe mein Herz, Auge und Mittelpunkt, Uhrwerk und Ventil meines Körpers. Mit den Handflächen lausche ich im Dunkeln seinem wilden Schlagen, das vom Busen bis zu den schweißnassen Schläfen vor Freude aufschreit und sich nicht beruhigen will.
    »Was ist Modesta, weshalb tastest du mit offenen Augen deine Brust ab? Früher bist du nach der Liebe eingeschlafen.Falls du Angst vor einer Schwangerschaft hast, keine Sorge, daran habe ich wie versprochen gedacht.«
    »Nein, nein! Vielleicht hatte ich gestern Angst davor, aber jetzt … jetzt nennst du mich Modesta und bist bis zu meinem Herzen gelangt. Weißt du, ich habe das Herz gesehen.«
    »Wie sah es aus?«
    »Wie das Holzrad, das die Jungen zu Pfingsten anzünden und den Berg hinunterrollen. Ich habe es vor langer Zeit einmal von einem Fenster aus gesehen. Damals konnte ich jene Mauern nicht verlassen. Hier in der Gegend kennen sie das Rad nicht, Carmine, warum?«
    »Nein! Hier gibt es kaum fruchtbare Erde. Was wissen die hier schon von Roggen- und Weizenfeldern?«
    »Hast du das große Rad aus der Nähe gesehen?«
    »Natürlich, und ich hab’s nicht nur gesehen, sondern hatte drei Jahre lang, als mir die ersten Barthaare sprossen, wie mein Vater und mein Großvater vor mir – wir Tudia waren schon immer kräftig gebaut – die Ehre, gemeinsam mit einem Musumeci – eine weitere Familie von großer Statur, aber mit schwarzen Haaren und schwarzer Seele – das Rad anzuzünden und den Berg hinunterzutreiben, um der Sonne zu helfen, uns die Weizen und Roggen nährende Wärme zu spenden.«
    »Ach deshalb? Das bedeutet es also?«
    »Natürlich, ein alter Brauch.«
    »Aber habt ihr euch dabei nicht verbrannt?«
    »Darin besteht die Kunst. Wenn es angezündet den Hang hinuntergerollt wird und wie ein wildes, wahnsinnig gewordenes Tier flieht, braucht man eine flinke Hand und schnelle Reaktionen, um den Flammen auszuweichen, und muß den Wind kennen. Auch wenn die Luftstill wie Glas zu sein scheint, muß man den Wind verstehen. Einmal waren plötzlich all meine Haare zu Asche geworden! Deshalb trugen wir Jungen, die das Rad antrieben, beinahe drei Jahre lang den Kopf fast kahlrasiert.«
    »Wie habt ihr es überhaupt in Bewegung gesetzt?«
    »Daß du das nicht weißt, wundert mich, Modesta.«
    »Von weitem konnte man es nicht erkennen, man sah nur das Rad.«
    »Aber Mädchen und Frauen schauen beim Bau des Rads zu.«
    »Ich war in einem Kloster, Carmine, vergiß das nicht.«
    »Stell dir ein Wagenrad vor. Jedes Jahr bekam der fähigste Meister den Auftrag, ein möglichst großes Rad anzufertigen, in dessen Mitte eine Holzstange, so hart wie Eisen, angebracht ist. Mit dieser Stange kann es ein Junge auf jeder Seite anschieben oder bremsen, je nach Untergrund, wie du dir vorstellen kannst.«
    »Ich habe Angst, Carmine!«
    »Nein, das ist keine Angst, Modesta, du bist müde.«
    »Warum kommt mit der Müdigkeit die Angst?«
    »Das ist ganz normal, zuwenig Schlaf und Brot bringen Kälte und wirre Gedanken mit sich, die dir wie Angst erscheinen können. Der erschöpfte Körper leistet schlimmen Erinnerungen keinen Widerstand und gibt sich Hirngespinsten hin.

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