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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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waren schon immer kräftig gebaut.« Diese langsame, trotz des dialektalen Einschlags kultiviert klingende Stimme ist nicht die von Carmine,aber als ich die Augen hebe, begegne ich dem vor blauer Ironie sprühenden Blick des Alten, den ich bei keinem anderen erwartet hätte. Um meine Verwunderung zu verbergen, drehe ich mich zu dem zweiten, etwas größeren, aber gebeugten Mann um, der seinen dunklen Kopf gesenkt hält und mich nicht länger beachtet, sondern konzentriert und wie erschrocken den reglosen Körper auf dem Bett anstarrt.
    »Ich bitte für meinen Bruder um Verzeihung, Fürstin, aber er hat unter dem Unglück zu sehr gelitten.«
    Wieder zuckt die blaue Ironie dieser Stimme durch das Halbdunkel und zwingt mich dazu, ihm in die Augen zu sehen. »Keiner kennt sein eigen Fleisch und Blut, Mody.«
    Einen Moment lang lese ich in diesen harten Augen, die den Blick nicht einmal andeutungsweise vor meinem senken, wie Eriprando mich in zehn oder fünfzehn Jahren anschauen wird … Wird er mir fremd werden? Oder hat der Alte gelogen?
    »Bist du Mattia?«
    »Ich hatte nicht gehofft, daß Euer Durchlaucht mich erkennen.«
    »Carmine hat euch immer im Herzen getragen, dich, Mattia, und dich, Vincenzo. So habe ich euch kennengelernt.«
    Bei diesen Worten richtet Vincenzo einen Augenblick lang den Blick auf mich, aber Tränen zwingen ihn, den Kopf zu senken.
    »Mit Freude stelle ich fest, daß es unbedachte Stimmen waren, die behaupteten, zwischen den Tudia und den Brandiforti flösse böses Blut.«
    »Unbedachte Stimmen, Tudia. Carmine war ein Ehrenmann und hat uns Brandiforti unschätzbare Dienste geleistet. Meine Anwesenheit hier bestätigt diese Worte.Und damit das alle erfahren, gehen wir gemeinsam zur Totenwache.«
    Ich sitze zwischen Mattia und Vincenzo an dem ovalen Tisch mit Brot und Salz, Wasser für die Frauen und Rotwein für die Männer unter den von schwarzen Seidentüchern verhüllten Spiegeln und lausche den Erzählungen über Don Carmines Taten, Freuden und Schmerzen, während durch die weit geöffnete Tür bis zum Einbruch der Nacht ohne Unterlaß Männer und Frauen mit Blumen und Obst hereinkommen.
    Als es Nacht ist, kann ich mich von denen verabschieden, die bleiben, und gehen.
    »Ihr wollt allein nach Hause fahren, sagt Ihr? Das ist zu gefährlich! Erst gestern haben sie zwischen Malpasso und Doria einen Wagen überfallen, und von einer ganzen Familie sind nur ein paar verkohlte Knochen übriggeblieben. Ja, Fürstin, eigentlich müßtet Ihr wissen, daß das hier in der Gegend so üblich ist: erst rauben sie sie aus, und dann verbrennen sie sicherheitshalber alles übrige …«
    »Aber ich habe einen Revolver.«
    »Der ist sicher nützlich, wenn Ihr es mit nur einer Person zu tun habt. Aber die sind immer zu mehreren unterwegs, um sich zu amüsieren. Erlaubt mir, darauf zu bestehen, daß Ihr nicht allein zurückfahrt.«
    Nach den Stunden feindseligen Schweigens ertrage ich die Gegenwart dieses Jungen keinen Moment länger. Er ist nicht wie Eriprando, oder wenn er so ist, habe ich nicht den Mut, in die Zukunft zu schauen. Unter Aufbietung all meiner Kraft gehe ich auf bleiernen Beinen zum Auto. Aber es ist nichts zu machen. Mit einem schnellen Satz stellt sich mir Eriprandos Stimme, die jetzt gedankenlos und schrill klingt, in den Weg: »Nein, nein, nein,Mama! Heute geh ich mit meiner lieben Elena weg. Ich will Elena!«
    Nichts kann den sturen Willen dieses jungen Carmine beugen. Genauso habe ich ihn in jener Nacht im Traum gesehen. Oder habe ich ihn mit hoch erhobenem Kopf voller vom Licht des Sonnenuntergangs rot gefärbter Locken auf Orlando vorbeijagen sehen?
    »Zu Pferd sagt Ihr, Fürstin? Nein, ich habe ein Motorrad. Dort steht mein Tier. Von wegen Orlando! Das dort hat die Kraft von hundert Pferden zusammen!«
    Entweder verwirrten mich die Müdigkeit und die eisige Kälte dieses widernatürlichen, in mein Fleisch gebrannten Kusses, oder dieser Junge, der jetzt lachend die glänzenden Flanken seines eisernen Pferdes streichelt, ist kein Feigling, wie du angenommen hast, Carmine.
    »Ihr könnt Euch ja kaum auf den Beinen halten, Fürstin, erlaubt mir, Euch zum Auto zu führen.«
    Der Griff seiner Hand um meinen Arm rüttelt mich aus den wirren Phantasien, die mich seit Stunden gefangenhalten – seine Finger haben die gleiche trockene Hitze wie die von Carmine.
    »Weißt du, Junge, daß du genau wie dein Vater bist?«
    Was rede ich da? Ein starkes Zittern schüttelt jetzt seinen Körper, und

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