Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
beinahe verärgert entfernt er sich in der Dunkelheit von mir.
»Was interessiert das jetzt? Ich bringe Euch nur nach Hause, und das war’s … Und außerdem …«
»Paßt dir die Ähnlichkeit mit Carmine nicht, oder warum ist deine Stimmung umgeschlagen?«
»Die Ähnlichkeit mit Carmine? Wie war Carmine denn? Meiner seligen Mutter zufolge ein Gott! Kann man einem Gott gleichen? Hört zu, Fürstin, Ihr könnt Euch kaum noch auf den Beinen halten, und ich mußEuch nach Hause bringen. Ich sehe, daß Euch mein Motorrad nicht mißfällt. Es fühlt sich schön an, nicht wahr? Die Haut ist ganz glatt.«
»Warum sollte es mir nicht gefallen?«
»Frauen gefällt es nicht.«
Jetzt fordert er mich genau so heraus wie Eriprando, wenn er um die Wette laufen will. Ich muß seine Herausforderung annehmen, um zu sehen, wie Eriprando einmal sein wird … und höre mich sagen:
»Warum begleitest du mich nicht auf dem Motorrad? Nach dem Auto schicke ich morgen.«
»Eine Frau auf dem Motorrad? Wo gibt es denn so was? Das ist gefährlich, man muß sich darauf zu halten wissen.«
»Bring es mir bei, so schwer kann es nicht sein.«
»Man muß starke Muskeln haben.«
»Ich kann reiten, keine Sorge.«
»Sicher, sicher. Aber nicht, daß Ihr erst wollt und dann Angst bekommt? Ich kenne euch Frauen … was für eine Situation! Aber es reizt mich, und wenn auch nur, um später meinen Enkeln davon zu erzählen.«
»Sehr gut. So hast du im Alter etwas zu erzählen.«
»Jetzt scherzt Ihr auch noch! Dort im Haus schient Ihr eine Leiche zu sein. Warum leidet Ihr so unter einem fremden Tod, Fürstin?«
»Lenk nicht ab, Mattia, gib zu, daß du Angst hast, eine Frau auf dem Motorrad mitzunehmen.«
»Mattia hat vor nichts Angst!«
»Das sieht nicht so aus.«
»Ich zeig’s Euch, Fürstin. Los, setzt Euch hinter mich, wir werden ja sehen. Und fest an mich drücken, denkt daran, fühlt Ihr, wie der Motor vibriert? Das ist noch gar nichts! Ich will Euch nicht die Böschung hinunterfallen sehen.«
Ich schaute die Straße entlang: Sie schlängelte sich durch eine schreckliche, tiefe, kaum vom Mond befleckte Dunkelheit. Schon zitterten meine von der Anstrengung oder dem Vibrieren dieses Ungeheuers steifen Beine, und beinahe bereute ich und wollte ihn schon rufen, als ein wilder Ruck mir das Herz bis zum Hals schlagen ließ. Mit aller Kraft klammerte ich mich wie eine Ertrinkende an ihn, während eine auf wundersame Weise in schneidende Lava verwandelte Luftlawine meinen Kopf traf und mich schwanken ließ.
»Gut festhalten, um Gottes willen, Fürstin!«
Mattias Stimme erreicht mich wie ein fernes Brausen. Auf hoher See, denke ich, wir sind Opfer eines Unwetters auf hoher See … Was sagt er jetzt? Auch ich schreie, aber meine Stimme bricht sich weit weg, oder ist es mein Herz, das aus mir herausspringt? Endlich fühle ich es sich wiederbeleben, als ob feurige Finger es herausgerissen und mit Gewalt massiert hätten. Und um es lebendig und frei von Trauer zu spüren, richte ich die Augen auf den tiefen Abgrund, zu dem die Nacht vor uns geworden ist … ein Abgrund, der vom Donner der Blech- und Blasinstrumente widerhallt, die plötzlich alle zusammen in nie gehörten metallisch mitreißenden Klängen entfesselt werden.
»Das ist wunderschön, Mattia!«
»Ihr seid furchtlos, Fürstin! Wenn ich mir erlauben darf, Ihr wirkt jetzt wie ein Mädchen.«
»Oh, es ist wunderschön! Laß uns umkehren und die ganze Nacht fahren! Und dann mußt du mir beibringen, selbst zu fahren, nicht wahr? Morgen kommst du wieder und bringst es mir bei!«
»Morgen? Wer weiß, wo wir morgen sind! Aber würdet Ihr es wirklich selbst fahren?«
»Warum nicht?«
»Also stimmt es …«
»Was?«
»Das, was mein Vater wortlos mit Blicken sagte, wenn Euer Name genannt wurde … Küß die Hand, Fürstin. Nur eine Frage noch, ohne Euch beleidigen zu wollen. Macht Ihr das mit allen Männern so? Ihr solltet Euch nicht einfach von einem Mann allein begleiten lassen, wenn ich mir erlauben darf.«
»Und du, warum wolltest du Vincenzo nicht dabei haben? Er hatte es angeboten. Was hast du? Weshalb siehst du mich so an?«
»Ich versuche herauszufinden …«
»Was?«
»Wie gesagt, ich versuche etwas herauszufinden.«
»Du brauchst mich nicht zu bespitzeln, Mattia! Schau mich nicht so an, was willst du wissen? Du antwortest nicht? Ich habe deinem Vater lange gehört.«
»Der alte Wolf! Feiger Carmine! Er hatte dich, und nicht genug damit, daß er Vincenzo ruiniert hat,
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