Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
Schicksal?«
»Mit diesem Wort werden die Armen beruhigt! Das Schicksal kannst du nach Belieben beeinflussen, wenn du stark genug bist.«
»Das denke ich auch.«
»Weshalb redest du dann anders, als du denkst?«
»Damit du mich bestätigst.«
»Teufelsmädchen! Hast mich meinen Atem verschwenden lassen, statt mich zu umarmen!«
»Auch weil mir Zweifel an meiner Art zu denken gekommen sind.«
»Was für Zweifel?«
»Carlo …«
»Sprich den Namen nicht aus!«
»Ich konnte ihn lieben, wenn ich nicht an dich dachte.«
»Was für eine Erkenntnis! Pech für ihn, wenn er es mit mir nicht aufnehmen konnte.«
»Verdammt! Das wollte ich von dir hören. Und was ist, wenn ich nach dir niemanden finde, der es mit dir aufnehmen kann?«
»Pech für dich, wenn du so jemanden nicht mehr zu finden weißt!«
»Und Glück für dich, der mich immer in der Hand halten will?«
»Natürlich! Seit Anbeginn der Welt war das mit kostbaren Dingen so.«
»Wenn du könntest, würdest du mich mit ins Grab nehmen, nicht wahr?«
»Nein, das nicht! Du gefällst mir lebendig. Ein lebloser Körper ist abstoßend, auch für die Toten. Und da heute eine Nacht der Worte ist und nicht der Umarmungen, mußt du mir etwas versprechen. Wenn ich morgen oder übermorgen nacht nicht zurückkehre …«
»Du hast gesagt, daß du immer wiederkommst, lüg nicht.«
»Na gut. Wenn ich in Hunderten von Nächten nicht mehr komme, versprich mir, nicht nach mir zu suchen.«
»Und warum? Hast du vor wegzugehen, wie damals?«
»Nein, wenn ich noch hundert Jahre lebe, komme ich weiter zu dir. Aber wenn du mich nicht wiedersiehst, hat mein Herz, wie die da gesagt haben, aufgehört zu schlagen. Versprich mir, dann nicht nach mir zu suchen. Ich will nicht, daß du mich tot siehst.«
»Warum nicht?«
»Ich möchte dir lebend im Gedächtnis bleiben! Du antwortest nicht? Carmine hat dich nie um etwas gebeten, und zumindest das könntest du ihm zugestehen. Antworte mir, Modesta, dein Schweigen bohrt sich wie ein Dorn in mein Herz, und so kann ich dich nicht küssen. Versprich es Carmine.«
»Ein Versprechen ist ein Versprechen, und wer es nicht hält, trägt einen tödlichen Makel.«
»Versprich es mir, Modesta, wenn du mich liebhast.«
»Ich verspreche es dir, Carmine, und hoffe, ohne Makel zu bleiben.«
52
Als ob seine Lebensgeister nur auf dieses Versprechen gewartet hätten, sah ich ihn nicht wieder. Carmine wollte es so, um meine Phantasie an seinen lebendigen Körper zu fesseln. Und wirklich laufe ich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang durch die Zimmer, die Treppen hinauf und hinunter und durch den Park und wiederhole innerlich: Er ist tot. Aber bei jedem Schatten und jedem kleinen Geräusch sehe ich ihn lebendig vor mir und höre seine Stimme: »Hätte ich sie wenigstens als Tote gesehen! Dann hätte ich mich damit abfinden können.«
Schon färbt der Sonnenaufgang zur Besiegelung seines Todes die Mauern weiß, aber ich rede mit ihm, der ruhigrauchend vor mir sitzt. »Ein gebrochenes Versprechen ist ein nicht wiedergutzumachendes Vergehen für uns Sizilianer, nicht wahr, Carmine?« – »Ja, Modesta, du hast es geschworen und mußt dein Versprechen halten.«
Auf Carmelo liegt Carmine ausgestreckt auf Gaias großem Bett und lächelt mit gesenkten Lidern. Du hast gehofft, dich mit deiner Schande verstecken zu können, aber ich habe dich aufgespürt, Carmine. Wer stirbt, hat unrecht, nur wer lebt, hat recht. Und als Lebende schaue ich dich an, du schöner alter Mann aus Marmor, und dulde weder Gesetze noch Schwüre, noch Urteile …
Kaum ist die hagere Alte, die mich hereingelassen hat, hinter der Tür verschwunden, gehe ich, obwohl mich meine Beine kaum tragen, auf das mächtige Bett zu, um seinen Tod besser sehen zu können. Diese verschwitzte wächserne Stirn ist abstoßend und hat nicht mehr Carmines Farbe. Um meinem jungen Körper vergessen zu helfen, ihm Rechenschaft abzulegen, drücke ich die Lippen auf seine Stirn und seinen Mund. Eisiger, widerlicher Schweiß läuft mir die Schultern herab. Aber ich warte darauf, daß sich Carmines Tod und die Unmöglichkeit seiner Rückkehr tief in mein körperliches Gedächtnis einprägen.
»Eure Anwesenheit ehrt unser Haus sehr, Fürstin. Verzeiht, daß Ihr hier allein habt warten müssen … Nunziata hat vergessen, mich zu benachrichtigen. Sie ist eine alte Frau, und der Tod ihres Herrn hat sie zutiefst erschüttert.«
Zwei hochgewachsene Männer starren mich aus dem Halbdunkel an. »Wir Tudia
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