Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
unehrenhaft umgebracht … mit Rattengift … und daß sie Carmine und ihre Söhne verflucht hat.«
»Davon weiß ich nichts, Mattia, geh weg! Was du da sagst, ist schrecklich.«
»Schrecklich, nicht wahr? Aber du müßtest wissen, ob diese Dinge stimmen oder nicht, wenn du ihm wirklich gehört hast. Laß mich mit dir hineingehen, ich muß es wissen, koste es, was es wolle.«
»Komm mit, ich habe dich nicht fortgeschickt.«»Ist er hierhergekommen?«
»Jede Nacht.«
»Warum legst du dich jetzt hin?«
»Ich bin müde, Mattia, ich habe seit gestern nicht mehr geschlafen. Die ganze Nacht habe ich auf ihn gewartet.«
»Sollte er auch gestern nacht kommen?«
»Ja.«
»Und du hast ihn gesucht, als er nicht gekommen ist?«
»Um ihn als Toten zu sehen.«
»Du wußtest davon? Er hat sich dir, einer Fremden, anvertraut! Ich habe den Revolver auf den Tisch gelegt, Fürstin, so wie du lebst, kann er dir nützen. Du antwortest nicht?«
»Ich bin müde, Mattia, und friere. Außerdem ist es sinnlos, mit dir zu reden. Du hast Angst vor der Wahrheit und wirst ausfallend.«
»Wenn meine Mutter nicht so gestorben wäre …«
»Wer hat das gesagt? Vielleicht ist es eine Lüge.«
»Nein! Die Schwester hat es mir gesagt … und sie hat auch gesagt … Oder vielleicht hast du recht, du bist eine Frau und weißt so etwas … Wie schön du bist, wenn ich dir in die Augen schaue. Oder sind nur deine Augen schön … Wer bist du? Eine Sphinx. Wie alt bist du? Laß dich streicheln. Ich will es wissen.«
»Wissen?«
»Wie kommt es, daß du mir so sehr gefällst? Du bist voll und heiß … Vom ersten Moment an hast du mir gefallen … Deine Haare sind wie aus Seide. Hat er sie gestreichelt? Und hat er mit dir geredet?«
»Später ja.«
»Später wann?«
»Als er wußte, daß er sterben würde. Aber vorher war er immer stumm.«
»Hast du auch unter ihm gelitten?«
»Er ist tot, Mattia.«
»Denkst du an ihn, oder warum schaust du mich nicht an?«
»Er ist tot, Mattia, lassen wir ihn in Frieden ruhen.«
»Habe ich geschlafen, Modesta? Wie konnte das passieren?«
»Du warst übermüdet.«
»Er ist wirklich tot, wenn ich in dir eingeschlafen bin.«
»Ja, aber wir leben noch, mein Sohn. Hast du gespürt, wie lebendig wir sind?«
»Warum nennst du mich so? Und warum weinst du jetzt? Ich ertrage keine Frauentränen. Weinst du um ihn?«
»Auch. Jetzt geht es schon wieder.«
»Und warum faßt du dir an den Bauch und die Brust?«
»Ich versuche herauszufinden, ob ich ein Kind von dir empfangen habe. Für jedes Leben, das verlischt, entsteht ein neues.«
»Und deshalb weinst du?«
»Nein, gern würde ich für einen Tod neues Leben geben.«
»Sprich nicht so unverständlich, sondern streichle mein Haar noch einmal wie eben. Ich habe es im Schlaf gespürt. Noch nie hat mich jemand so gestreichelt.«
»Hat dir niemand die Mutter ersetzt? Deine Tante?«
»Vielleicht wollte sie das, aber sie war hart und kalt wie ihr Bruder.«
»Ach so, sie war Carmines Schwester?«
»Ja, und ihm hörig wie eine Sklavin. Er hat immer gesagt, daß niemand den Platz seiner Braut einnehmen darf, und sonntags nach der Messe nahm er uns mit in ihr Zimmer, das unangetastet geblieben war … es roch nochnach ihr – sagte er –, und dann öffnete er die Schränke mit all ihren Kleidern. Auf Knien mußten der immer zitternde Vincenzo und ich ihrer gedenken … was soll ich sagen, es war wie ein Gebet, mindestens fünf Minuten lang, die mir aber wie Jahrhunderte vorkamen. Mir ist, als hätte ich meine ganze Kindheit dort verbracht. Dann habe ich dagegen rebelliert, und wenn ich sah, wie er sich mit Vincenzo in dieses Zimmer einschloß, packte mich der unbezähmbare Wunsch, weit weg zu laufen. Und ich rannte stundenlang über die Felder, bis ich keine Luft mehr bekam. Warum, Modesta, warum?«
»Du hast kräftiges, lockiges Haar wie …«
»Wie wer?«
»Wie Eriprando, mein Sohn.«
»Ah, so heißt er? Diesen Namen habe ich noch nie gehört, er muß ausländisch sein.«
»Ich weiß nicht, wie mir dieser Sohn mit diesem Namen heranwächst.«
»Macht dir das Sorgen? Auch mein Bruder Vincenzo ist mir manchmal fremd.«
»Dein Vater hat dasselbe über dich gesagt.«
»Er ist wirklich tot, Modesta, wenn ich diese Worte hören kann, ohne daß es mir das Herz bricht.«
»Er ist tot, Mattia. Der Wald beginnt zu zittern. Bald wird es Tag, du mußt gehen.«
»Warum?«
»Hier kannst du nicht bleiben.«
»Hast du einen anderen Mann?«
»Ich habe einen
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