Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
Vom Netzwerk:
Sohn.«
    »Was soll das heißen?«
    »Ich will niemanden stören.«
    »Du redest wie Carmine: nicht stören! Aber derweil tut man schmutzige Dinge, nicht wahr?«
    »Hör auf zu schreien.«
    »Sag mir die Wahrheit! Hast du einen anderen Mann?«
    »Nein, Mattia, sei vernünftig, wir kennen uns doch gar nicht! Komm morgen wieder. Wir müssen gut darüber nachdenken …«
    »Erst geht sie mit einem Mann ins Bett, und dann sagt sie, daß wir uns nicht kennen!«
    »Ich habe dir gesagt, daß du nicht schreien sollst! Diese Anmaßung schadet meinem Haus.«
    »Warum gelingt es mir nicht, mich von dir loszureißen? Hattest du vielleicht auch über ihn eine solche Macht? Wieso schaffe ich es nicht zu gehen?«
    »Mir geht es genauso, aber wir müssen warten.«
    »Heute nacht hast du anders geredet.«
    »Es war eine eiskalte Nacht.«
    »Je länger ich dich anschaue, um so schöner erscheinst du mir. Darf ich wiederkommen?«
    »Nachts kannst du kommen, wann immer du willst.«
    »Und wie öffne ich das Tor?«
    »Am Schlüsselbund deines Vaters findest du die Schlüssel.«
    »Sogar die Schlüssel hast du ihm gegeben!«
    »Carmine und ich haben uns geliebt, Bursche.«
    »Geliebt? Und wenn er nun vielmehr, wie ich denke, nur zu dir gekommen ist, weil du im Dunkeln allen Männern die Tür öffnest?«
    »Deine Reden gefallen mir nicht. Wir zwei verstehen uns nicht. Geh deinen eigenen Weg weiter, und laß mir meinen.«
    »Ich spucke auf deinen Weg!« schreit Mattia und springt auf. Sein nackter Körper im Spiegel des Morgengrauens überrascht meine Pupillen. Ich darf diese schönen Gliedmaßen nicht anschauen. In den Bewegungenseines kräftigen Rückens, dem Stamm eines jungen Baumes, erkenne ich eine mir fremde Zukunft. Und obwohl das Verlangen, ihn zu rufen und ihn fest an mich zu drükken, groß ist, schließe ich die Augen: Ich darf nicht zulassen, daß sich sein Bild in meinen Geist einschleicht. Carmine hat recht: Man kann den Blick abwenden und sein eigener Herr bleiben. »Mit dem Wort Liebe muß man vorsichtig umgehen, es ist eine Falle der Natur, die sie mitten im duftendsten Gras auslegt und in die selbst die listigsten Tiere gehen.« Wie viele Hasen und Kaninchen haben wir im Morgengrauen darin gefunden, nicht wahr, Carmine? Wenn wir beim ersten Tageslicht aufwachten und in den Wald liefen, um nachzuschauen. Aber obwohl plötzlich das gleiche Licht ins Zimmer fällt, kommt Carmine nicht unter das Fenster, um Modesta und Beatrice zu rufen, die lernen müssen, das Gewehr in der Hand zu halten wie zwei richtige Männer. »Wie Ihr wollt, Fürstin! Wegen der Padroncina mache ich mir keine Sorgen, aber die junge Fürstin zittert am ganzen Körper und kann nicht …« Carmine entfernt sich zwischen Bäumen und Himmel … Oder ist es sein Sohn, der bereits mit langsamen Schritten durch das Tor geht? Hinter dem Fenster verfolge ich diese Schritte, bis das Grün sie verschlingt.
    Schon scheinen die ersten Sonnenstrahlen auf meine heitere, wie von einer drückenden Angst befreite Stirn. Monatelang hatte mich diese Last bei jedem kleinen Schatten oder Geräusch zusammenfahren lassen, und jetzt breitet sich eine nie gekannte Ruhe in mir aus. Ich will hinausgehen und unter dieser strahlenden, freudigen Sonne umherlaufen, die mir immer wieder zuruft: Du bist frei. Das Glück, nicht mehr zu warten, nicht mehr von einem fremden Willen abzuhängen. Niemand nimmtmir dieses Glück, Mattia. Am Feldweg sind kleine Blume erblüht, über Nacht? Oder habe ich, von deinem Willen abgelenkt, alter Carmine, die Mühen des Frühlings nicht bemerkt, der an die Erde geklopft hat, um hinauszugelangen?
    »Modesta, Mody! O Fürstin, Gott sei Dank seid Ihr wach!«
    »Was ist denn, Pietro?«
    »Komm herunter, Mody, was für ein Durcheinander!«
    »Ist das Kind da, Pietro, oder warum stotterst du vor Rührung?«
    »Ja, es ist geboren!«
    »An deinem Lächeln erkenne ich, daß es ein Junge ist.«
    »Ja, Mody, ein Junge! Zwei Ärzte und der Herr Carlo haben ihn untersucht. Gesund und stark ist er, bei Gott! Mein Herr Fürst hat einen Riesen zustande gebracht. Er ist mit offenen Augen zur Welt gekommen, Mody!«
    »Gut, Pietro. Jetzt beruhige dich, ich zieh mich an, und dann brechen wir sofort auf.«
    »Ja, Mody, sofort, sofort …«
    Ich befürchtete, daß sich Pietro in seiner Freude getäuscht hatte, aber angesichts dieser von Fräulein Inès in die Welt gesetzten viereinhalb Kilo ging ein stolzes Lächeln über mein Gesicht, die Natur herausgefordert zu haben.

Weitere Kostenlose Bücher