Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
habe, daß du mir den Tod bringen könntest. Ich sehe ihn nie wieder.«
»Sie wiederholt es beinahe unter Tränen! Merkst du nicht, daß er zumindest deine Gedanken erobert hat?«
»Es reicht, Mattia, geh jetzt!«
»Nein, so nicht, du Lavateufelin! Nicht mit diesem Urteil belegt! Also bin ich für dich ein Zeichen des Todes? Und was ist er? Das Leben? Wo ich dich so geliebt habe! Ich hasse dich! Ich hasse dich!«
Ich darf mich nicht umdrehen … Ich habe den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, als ich plötzlich die Pistole in den Händen halte. An dem Rückstoß, der mein Handgelenk bis zur Schulter hinauf erschüttert, merke ich, daß auch ich geschossen habe. Da schlägt mir ein weißlicher Blitz ins Gesicht und zwingt mich in die Knie … bin ich hingefallen, oder wogt mir das Gras entgegen? Mit dem Gesicht auf dem Boden schieße ich weiter, ohne zielen zu können, denn jetzt rinnt mir eine heiße Flüssigkeit über die Augen. Hinter mir dröhnen Schreie und Schüsse, und ich versuche, die Hände fest auf den Boden gestemmt, den Kopf aus der schwarzen Welle zu ziehen, die mich überflutet. Nachts ist das Wasser schwarz, wenn der Mond nicht scheint … Aber jetzt scheint der Mond … von dort oben fixiert er mich mit seinem kalkweißen Blick, schreit jedoch nicht. Elena ist es, die schreit, und diese dünnen Beine dort, die Beine eines Hasen, sind die von Celso. Es scheint unmöglich, aber Celso rennt so schnell wie Tuzzu … er hat die Beine eines Jägers. Er wird ihn umbringen. Und ich ertappe mich dabei zu hoffen, daß esMattia gelingt, seinem Jäger zu entkommen … Hoffentlich hat Mimmo mich gesehen … Mimmo hat lange Arme. Und auch wenn mein Kopf inzwischen schnell und immer schneller gegen die Brunnenwände schlägt, kann man nur hoffen …
»Hoffen und pressen, Modesta, du mußt pressen, damit hilfst du ihm und dir!«
»Die Stellung ist richtig! … Du darfst die Welle des Schmerzes nicht unterdrücken, wehre dich nicht dagegen, sondern folge ihr mit deinem Körper und deinen Gefühlen, nur so schaffst du es!«
Mit dem gesamten Körper und allem Bewußtsein presse ich, aber diese Masse Fleisch, die so regelmäßig, wie Tag und Nacht aufeinanderfolgen, aufwacht und gegen die Wände meines Bauches pocht, will nicht herauskommen. Kämpfte da der noch gestaltlose Prando in mir, oder war ich das, die gestaltlos kämpfte und an den Metallnähten auf meiner Stirn riß, um hinauszugelangen? Ohne Rast kämpfte ich um meine Wiedergeburt … Und in einem nebligen, kaum von der Hitze rot gefärbten Sonnenaufgang gebar ich mich aus mir selbst wieder, als ob die große Welle des körperlichen Schmerzes, die über meinen Kopf hinweggegangen war und sich weit hinter mir gebrochen hatte, alle Sorgen, alle Bitternis und die glücklichen Zukunftspläne, die inzwischen am Fels von Carlos Tod zerschellt waren, fortgespült hätte. Die Enttäuschung über diese innerhalb weniger Stunden gescheiterten Pläne war schmerzlich. Sie war damals schmerzlich gewesen, als Carlo im Bett mit dem Tod gerungen und Beatrice mit den lachenden Augen des Wahnsinns immer wieder erzählt hatte:
»Denk nur, wie weit der Neid der Leute gehen kann, Modesta! Sie erzählen wirklich immer noch, daß Carlotot sei, wo er doch gerade erst vor zwei Minuten hier war, wie er es immer tut: Ab und zu kommt er aus seinem Büro herunter, um mit mir zu reden. Genau, bevor ich es vergesse, er hat mir gesagt, daß wir heute abend in die Oper gehen. Willst du mitkommen? Dieses Gerede über seinen Tod ist nur Neid, wo man doch – hörst du seine Schritte über uns? Hör nur, jetzt ist er vom Schreibtisch aufgestanden … Wenn er aufsteht, macht der Stuhl auf dem Marmor so ein lautes Geräusch. Man müßte einen Teppich auslegen, aber Carlo sagt, daß das übertrieben wäre für …«
Das war sehr schmerzlich gewesen damals … wann? Vor ein oder zwei Jahren? Als das Mädchen Modesta, voll jugendlich unversehrter Hoffnung und Glauben an die Zukunft, arglos mit verbundenen Augen vorwärts schritt … Als sie vertrauensvoll Hand in Hand mit Carlo spazierenging und seine Stimme, seine Ideen und seine Gegenwart wie etwas trank, das immer dasein würde wie der Ätna, der Himmel und das Meer. Wie oft hatte sie mit dem lebendigen Carlo oder dem toten Jacopo diskutiert und den Widerspruch erörtert, der Dreh- und Angelpunkt der Natur ist. Aber als sich dieser Widerspruch in Carlos Tod unanfechtbar offenbarte, hatte ihr die Enttäuschung, die wie eine Lawine
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