Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
zu erkennen, die mich mit unersättlicher Gier anstarrten. Sie belauerte mein junges Fleisch, meine Brust, sie suchte einen Spalt, um in mich hineinzuschlüpfen und an meinem Skelett zu nagen, das die Freude fest zusammenhielt. Als ich ihr entgegentrat, erkannte ich, daß ich ihr zu Recht mißtraut hatte, daß ich nur wenige unaufmerksame Augenblicke später der Wirklichkeit entfremdet gewesen wäre als Opfer der Droge »Künstler«, die stärker ist als Morphium oder Religion. Sie verstand, wandte ihren Blick ab und floh.
Unter der Anstrengung, in meiner Zukunft zu lesen, hatte meine Narbe zu pulsieren begonnen, und ich sah im Spiegel, wie ihre rote Schlangenlinie aufleuchtete.Eine jahrhundertealte Botschaft aus meinem Innersten, die mir riet, vor mir selbst auf der Hut zu sein und schnell hinauszulaufen. Ich würde die Poetik-Studien nicht fortsetzen, bevor ich mir nicht selbst bewiesen hätte, daß es ein Spiel war und nichts als ein Spiel, so wie Blumen pflücken oder auf Morella reiten …
Neben der alten Morella wartete geduldig Bambolina. Ihr schwarzer Pony fiel leicht wie ein Schatten über die blauen Augen, die noch eine Spur intensiver strahlten als Beatrices. Ich suche sie auf der Wiese, vielleicht versteckt sie sich nur hinter einem Gebüsch, um dann hervorzuspringen und mich mit ihrem hellen Lachen zu erfreuen.
»Hast du keine Lust zu reiten, Tante, oder warum starrst du auf das Meer hinaus? Es macht nichts, wenn du keine Lust hast, vielleicht bist du ja müde.«
Die gleiche aufmerksame Stimme, die gleiche respektvolle Zurückhaltung wie bei Carlo … Die Stirnnarbe pocht, mühsam schlucke ich die Tränen hinunter, ich muß sie umarmen und hochheben. Ich will, daß sie lacht, will noch einmal Cavallinas Lachen hören.
»Oh, wie schön, Tante, ich fliege! So lange hast du mich nicht mehr fliegen lassen! Aber wie kann es sein, daß du so stark bist? … Haha! Hör auf, hör auf, das kitzelt, Modesta!«
Wenn ich ernst bin, nennt sie mich Tante, wenn ich mit ihr herumalbere, Modesta.
»Oh, ist das schön, Modesta. Wie stark du bist!«
»Nein, du bist leicht wie ein Spätzchen! Höchstens hundert Gramm wiegst du.«
»Aber Prando kann mich nicht hochheben.«
»Warte nur ein paar Jahre. Wenn du dann nicht aufpaßt, schickt er dich auf direktem Weg zum Mond.«
»Oh, das wäre schön, Modesta! Und wenn ich großbin, bringst du mir das Fliegen bei! Ich liebe Flugzeuge. Du bringst es mir bei, ja? Wie du mir auch reiten und schwimmen beigebracht hast.«
Jetzt, wo sie Carlos Zurückhaltung abgelegt hat, sprudelt es lebhaft und voller Begeisterung aus ihr heraus, wie aus Beatrice. Was sagt sie? Sie erzählt von Fotos, die sie gefunden hat …
»Und wer ist der schöne Mann hier? Jacopo und ich haben auf dem Dachboden einen alten Koffer gefunden. Er hat Unmengen von Büchern mitgenommen und so ein … wie heißt das Ding, durch das man alles größer sieht?«
»Mikroskop.«
»Und ich die Fotos. Wer ist der schöne Mann da neben dem Flugzeug? Prando sagt, das sei mein Papa, aber das kann er nicht ernst meinen, denn der war doch kein Flieger, oder? Also, wer ist das?«
»Das ist Ignazio, der Onkel deiner Mutter.«
»Und die ganzen Flugzeuge gehörten ihm?«
»Aber nein! Er flog sie nur, er war Pilot.«
»Wie schön! Wenn ich groß bin, will ich auch Pilot werden!«
»Natürlich, Bambolina, und jetzt los, bevor die Sonne zu hoch steht. Hü, Galopp!«
In meinem Arbeitszimmer erwartete mich Pietro, die Mütze in den Händen, unverändert. Wie alt war er? Vielleicht so alt wie das Feuerrad, das Carmine die Flanken des Berges hinabtrieb.
»Gott zum Gruße, Fürstin, und verzeiht Pietro, wenn er Euch stört. Aber es ist dringend.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Pietro. Ich weiß, daß du mich nur in dringenden Fällen aufsuchst.«
»Um gleich auf den Punkt zu kommen, das heißt auf zwei Punkte: Einer davon ist ein Quell großer Freude für Pietro und seine Frau. Der andre aber ist schmerzlich, er trübt die Freude meines Herzens.«
»Sprich, Pietro! Immer frei heraus mit dem Schmerz wie mit der Freude … Was ist, du schweigst und errötest?«
»Euer Durchlaucht haben schon verstanden: Quecksilber, meine Frau, deren Hand Ihr mir großmütigerweise gewährt habt, nach zwei Jahren, wir hatten die Hoffnung schon fast aufgegeben, Mody … ist sie … sie …«
»Sie erwartet ein Kind, Pietro? Du kommst mir vor wie ein kleiner Junge!«
»Das stimmt, Mody, ein Kind läßt Tod und Alter
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