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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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Pasquale dazu, diese Freunde zu beschützen. Laß uns wie echte Männer und nicht wie hysterische Weiber so tun, als glaubten wir seiner geteilten Treue zu unserer Idee, wir benutzen ihn, bedienen uns seiner für unsere Zwecke. Wer sonst hätte Maria vor dem Ucciardone gerettet, der fröhlichen Villa Mori, wie sie in Palermo heißt, wo ohne Prozesse gefoltert und hingerichtet wird? Es ist nicht die Zeit zu handeln, Pietro, es ist Winter, Zeit der Lethargie. Mach dir keine Sorgen, wenn der Frühling kommt, werden wir eine Gelegenheit finden, Pasquale seine Lektion zu erteilen, der glaubt, uns mit ein paar Gefälligkeiten auf ewig kaufen zu können. Unser Dank wird eine Kugel zwischen seine Augen sein, wie bei dem Tudia und den anderen, mach dir keine Sorgen.«
    »Eine lange Rede, Mody, und vielleicht habe ich verstanden, was du meinst. Aber gleichwohl bist du Pietro böse, denn du hast mich beim Sprechen kein einziges Mal angeschaut.«
    Aus den dunklen Tiefen der Insel nahm sein Herz jeden noch so schwachen Schatten wahr, jede leichte Veränderung von Venen und Nerven.
    »Wenn ich einen Fehler gemacht habe, Mody, so sage es mir! Pietro verdient es nicht, schweigend verurteilt zu werden.«
    »Vertraust du mir, Pietro? Dann hör zu. Die Zeiten ändern sich, und wir müssen vorsichtig sein: beobachten und abwarten, was zu tun ist.«
    »Ah! Bist du deshalb so viele Male über das Meer gegangen? Ich hatte mir so etwas gedacht, auch weil FürstJacopo es Euer Durchlaucht gleichtat. Und von diesen Reisen große Gelehrsamkeit mitbrachte.«
    »Ja, Pietro, und ich gelange immer mehr zu der Überzeugung, daß sich die Insel, unsere Heimat, aus ihrer Isolation befreien muß.«
    »Befreien, sagst du, Mody, von unserer Art zu denken? Moden und Bräuche des Kontinents übernehmen?«
    »Durch Zug, Flugzeug und Radio ist die Welt kleiner geworden, und wenn wir nicht vorbereitet sind, wird sie über uns hereinbrechen und uns mit sich fortreißen.«
    »Auch der Fürst sprach immer so, doch die selige Fürstin war nicht damit einverstanden.«
    »Sie war eine große Frau, die alte Gaia, aber aus einer anderen Zeit, Pietro, die Toten in allen Ehren, aus einer längst vergangenen Zeit! Der Faschismus kann hundert Jahre dauern, aber er kann auch im nächsten Moment vorbei sein, um Carlos Welt Platz zu machen. Und dann müssen unsere Kinder bereit sein, ihren Weg allein zu gehen, sich durchzuschlagen, materiell wie moralisch.«
    »Deswegen schickst du sie auf öffentliche Schulen? Jetzt verstehe ich.«
    »Und in den Sommerferien ins Ausland, Pietro. Sie müssen lernen.«
    »Unsere Alten sagten, wer in die Welt zieht, verliert seine Wurzeln. Fürst Jacopo kam immer gebeugter von seinen Reisen zurück.«
    »Man verliert die fauligen Wurzeln, und er war gebeugt vor Gram über das Unverständnis, auf das er hier stieß.«
    »Du hast mit mir geredet, und ich sehe, daß nicht Pietro dich verärgert hat, sondern Pietros altmodisches Herz. Und ich gebe dir recht. Ich bin alt, ich zittere, wenn ich an den bevorstehenden Kampf denke. Ich verstehe deine Absicht, doch ich sehe keinen Weg, sei es ausUnwissenheit oder aufgrund meiner Jahre. Aber ich vertraue dir. Erstens, weil du gebildet bist. Und zweitens, weil du die padrona 7 bist und ich deine Befehle ohne Einwände hinnehme.«
    »Dann sind wir uns also einig, Pietro? Pasquale bleibt, wo er ist. Es ist nicht die Zeit zu handeln, verstanden?«
    Betroffen, aber ergeben beugt sich Pietro über meine Hand, um sie zu küssen. Ich muß ihm einfach in die Augen sehen, unmöglich, seinem Blick zu entfliehen, weder indem man über das Meer geht, wie er es nennt, noch indem man durch ein Zugfenster auf die endlosen Wälder und Anpflanzungen starrt, die sich in öder Gleichförmigkeit aneinanderreihen: Dörfer und Städte, quadratisch und sauber, weiße, ausdruckslose Gesichter ohne ein Lächeln. Zahnlose Münder, die das Brot nicht beißen können. Ich hatte gehofft … ich hatte gehofft, auf der anderen Seite des Meeres zu finden, wovon Tuzzu immer geredet hatte: »Dort gibt es reiche Städte mit allem, was das Herz begehrt, große Häfen, wo Schiffe ein- und auslaufen, vollbeladen mit Reichtümern.«
    Doch hinter dem schönen Anstrich der prachtvollen Paläste dieselben hungergekrümmten Gassen, dieselbe erbärmliche Litanei aus Armut und Entbehrung, nur ein klein wenig unauffälliger und noch schicksalsergebener. Auf den Spuren seiner gebeugten Gestalt folgte ich den Stationen von Onkel Jacopos Reisen, um mit

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