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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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dir an.«
    »Ja, und? Was ist so komisch an ihr, Stella? Du weißt, daß mir Vorurteile zuwider sind. Wie oft soll ich dir dasnoch sagen? Sie ist lediglich um einiges größer als die Frauen hierzulande. Ist es das, was dich verwirrt?«

59
    War es der perlgraue Hosenanzug mit den feinen Nadelstreifen, aufgelockert durch eine elegante weiße Seidenkrawatte, der Stella so einschüchterte? Oder der ausladende Schlapphut, der auf diese Entfernung ihre Augen verdeckte, so daß ihre Miene nicht zu erkennen war?
    »Wenn’s nur der Hut wäre, Modesta, aber sie trägt Hosen!«
    Unter der schweren Hutkrempe aus braunem Filz glitten die Augen – zwei große, schräg stehende Augen – schwarz in das Dunkel der Schläfen. Diese Augen lächelten nicht, nicht als sie auf mich zukamen, nicht als sie Stellas Platz einnahmen, die eilig und von uns unbeachtet entfloh. Für den Bruchteil einer Sekunde schien es, als habe ein kostbares Objekt aus jenen Pariser Salons vor mir Gestalt angenommen, in denen unsere politischen Emigranten zwischen zwei Drinks ihre diskrete und höfliche Bitterkeit pflegten, unter den freudig erregten Blicken der Damen, die glücklich waren, endlich eine Zerstreuung vom ewigen Einerlei gefunden zu haben … Ich bemühe mich, den Klang zu hören, der von ihren Lippen ausgeht, aber meine Sinne nehmen nichts wahr als die langsame, elegant verhaltene Mundbewegung. Entweder spricht sie ganz leise, oder ein fernes Gewitter stört den imaginären, kilometerweit gespannten Draht, der Bambolinas zitternde Stimme überträgt, um Atem ringend ob der Sensation, ein Telefon zu haben … »Du bist in Rom! Oh, Tante, ich kann nicht glauben, daß ichdich von so weit weg höre! Ein Wunder! Das ist fast beängstigend. Jacopo und ’Ntoni sind auch hier, sie wollen dich unbedingt sprechen. Komm bald zurück, wir langweilen uns ohne dich!« Bald, in zehn, zwanzig Jahren … bestimmt würde man dann auch das Gesicht sehen, Tausende Kilometer weit herübergeflogen, auf einem kleinen Bildschirm, der zwischen Aschenbecher und Lämpchen auf dem Nachttisch stand … Die Welt wurde klein wie eine Faust, während der bittersüße Duft des türkischen Tabaks den großen Tisch aus rohem Holz fortwischte und den Messingglanz von den Töpfen der flüchtenden Stella. Ich könnte Stella folgen und den Salon vergessen mit seinen nackten Frauenfigurinen, die auf ihren wohlgestalteten Armen lustlos Lampenschirme in dunkel glänzenden Farben balancierten oder mit langen, schlanken, übereinandergeschlagenen Jungmädchenbeinen bewegt und gespannt den Wechselfällen unserer gepeinigten Heimat lauschten, vorgetragen von der melancholischen Stimme eines blassen Jacopo Ortis …
    »Wer hat dich bloß zu uns geführt? Wer wagt sich hierher? Höchstens irgendeine vorgeblich antifaschistische Laus im Dienste der Bourgeoisie. Du hast recht, sie spielen die Helden, ohne sich in Gefahr zu begeben. Aber laß dich nicht beirren, Modesta, es gibt ihn, den antifaschistischen Widerstand! Er ist hier, in den Fabriken, in unseren Friseurläden und Backstuben! Laß es dir vom Genossen Reggiani gesagt sein.«
    Vor dem Genossen Reggiani konnte ich fliehen, doch es nützte nichts, niemals würde ich Jose begegnen. Jose sagte mir statt dessen, ich solle dieser Frau antworten, auch wenn ihre langen Zigaretten einen benebelnden Duft verströmten. In dem Aschenbecher, den Stella aus einem Untersetzer improvisiert hatte, lagen drei weißgoldeneZigarettenstummel. Und schon tasteten die langen Finger bedächtig, fast ehrfürchtig nach der nächsten. Wie hieß sie noch? In Joses Brief dort auf dem Tisch war der Name dieser Frau genannt, aber es wäre unhöflich gewesen, den Bogen in ihrer Anwesenheit noch einmal zu entfalten.
    »Ihr seid genau so, Fürstin, wie Jose Euch beschrieben hat. Ich sehe, daß er es zu meinem Vorteil getan hat. Stets vorausschauend, Jose!«
    »Zu Eurem Vorteil?«
    »Eine knappe, aber äußerst hilfreiche Nachricht an mich: ›Achte nicht auf Modestas plötzliche Abwesenheiten, Joyce, sonst läufst du Gefahr, im Meer der Gleichgültigkeit zu versinken, den diese kleine Fürstin zwischen sich und ihrem Gegenüber auftun kann, wenn man es am wenigsten erwartet.‹ Entschuldigt meine Hartnäckigkeit, aber Ihr habt mir noch nicht geantwortet, und das stürzt mich in unerträgliche Sorge. Ist es, weil Ihr glaubt, daß es nunmehr unmöglich sei, eine Überfahrt nach Südamerika zu bekommen wie vor zwei Jahren für den Genossen Alessandro Giudice? Glaubt

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