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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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Principessa, daß Eure Haut so zart und glatt ist wie …«
    Unglaublich. Er war wirklich anständig und hatte keine Hintergedanken. Denn dann hatte er mitten im Satz die Hand von meinem Hals genommen, sie an seine Mütze geführt und war mit einem »Ich empfehle mich, Principessa« verschwunden. Also hatten nicht alle Männer schlechte Absichten, wie meine Mutter und die Nonnen immer behaupteten. Und auch jetzt, wo ich in Ungnade gefallen war – was für ein Interesse konnte er schon daran haben, mit mir zu reden?
    »Ist dir nicht gut, Principessa, daß du wie ein erschrokkenes Hühnchen hingefallen bist?«
    Nach über einem Monat eine Stimme! Ich wollte fliehen, aber er fuhr fort:
    »Hier ist es feucht, sehr feucht, mein Hühnchen.«
    »Du hast recht, Mimmo, danke. Ich gehe jetzt besser.«
    »Und wohin? Von den Sternen in den Stall, was, Principessa? Nimm es dir nicht so zu Herzen, das passiert jedem einmal. Ach, wenn es nur einmal im Leben vorkäme! Aber sicher bist du recht hart gelandet. Und wer hätte das gedacht, wo du doch so leicht bist! Du bist so hart gelandet, daß von dem Aufprall noch das ganze Kloster widerhallt!«
    »Glaubst du wirklich, Mimmo, daß man sich aussuchen kann, ob man leicht oder schwer aufschlägt, wenn man fällt?«
    »Gut so, Principessa, ich merke, daß du deinen Sinn für Humor nicht verloren hast! Das ist ein gutes Zeichen. Um ehrlich zu sein, war ich ein wenig besorgt, dich wie eine Schlafwandlerin mit hängenden Schultern herumgehen zu sehen. Ich dachte mir: Sie wird mir doch nicht bucklig werden vor lauter Gebeten und Strafen. Du wärst nicht die erste, die ich als junges Mädchen kerzengerade in diese Mauern hab eintreten sehen und die sich nach und nach wie ein Esel unter seiner Last gebeugt hat, bis sie vertrocknet und mit den Füßen voran, entschuldige den Ausdruck, hinausgebracht wurde, ohne in den Genuß eines langen und zufriedenen Alters gekommen zu sein. Meine Frau und meine Schwägerin haben beide weißes Haar, doch sie sind zufrieden, denn sie haben dem Hunger und allen Krankheiten getrotzt. Aber diese Nonnen, wer kann die verstehen? Sie behaupten, in Keuschheit zu leben, werden aber so krumm, als wären sie mit allen Sünden dieser Welt beladen.«
    Früher war ich immer geflohen, wenn Mimmo so von den Schwestern und dem Kloster geredet hatte, aber jetzt legten sich seine Worte wie heilender Balsam auf meine Seele. Ich verspürte das Bedürfnis, mich zu strecken und den Kopf zu heben.
    »Richtig, so ist es gut, Principessa, so aufrecht wie früher.«
    »Aber die Arme und die Hände sind mir so schwer geworden.«
    »Natürlich. Wenn der Lebensgeist, sei es nun aus Schmerz, Demütigung oder aus Hunger, dem Körper entflieht, ziehen dich die Hände und die Arme zur Erde hin. Aber das ist ein schlechtes Zeichen, ein Zeichen dafür, daß die Seele des Körpers überdrüssig ist und sterben will. Mir ist das passiert, als ich die Nachricht bekam,daß mein ältester Sohn Nunziato im Tripoliskrieg gefallen ist. Meine Arme waren wie Blei und zogen mich zu ihm hinunter. Um mir Mut zu machen – ich hatte zu Hause sechs hungrige Mäuler zu stopfen –, um mir also Mut zu machen, mußte ich mir diese Arme abhacken. Jetzt arbeiten sie und bewegen sich, aber ich spüre sie nicht mehr. Sie sind mit ihm fortgegangen, Principessa.«
    »Ich gehe jetzt lieber, Mimmo, falls jemand kommt.«
    »Nein, im Moment kommt noch niemand: Die Eiche ist still. Doch wenn es dir unangenehm ist, dann geh. Aber aufrecht! Pack dich bei den Haaren und zieh deine Seele hoch. Denn die warten doch auf nichts anderes, auch wenn sie es nicht wissen, als daß du dich so tief beugst, bis du dich ein paar Meter unter der Erde wiederfindest.«
    »Nein, das stimmt nicht, Mimmo. Warum redest du so, du bist doch sonst so gut?«
    »Weil das die Wahrheit ist. Und was soll das heißen? Darf einer, der gut ist, die Wahrheit nicht erkennen? Weißt du, wem du es zu verdanken hast, daß du wenigstens an die frische Luft kommst?«
    »Das weiß ich wohl: dem Arzt.«
    »Natürlich, dem Arzt. Aber der Arzt allein hätte das nicht geschafft, wenn nicht vor acht oder zehn Jahren eine Novizin, ungefähr in deinem Alter und auch ein Schützling von Madre Leonora, gestorben wäre.«
    »Und wie ist sie gestorben?«
    »Sie hat sich umgebracht, mein Kind. Und wer hätte es ihr verdenken können? Über einen Monat in diesem Zimmer eingeschlossen, da ist sie schließlich verzweifelt und hat sich aus dem Fenster gestürzt. Schau mal, das

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