Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
Flügeln an die glitschigen Wände, bis sie vom Wasser auf dem Grund verschlungen wurden. Ich zitterte vor Kälte. Natürlich war Mimmo inzwischen wie eine Leibwache immer in der Nähe, was mir zeigte, daß er besorgt und achtsam war. Aber er kam nicht mehr zu mir. Sicherlich hatte ihm die Sorge den Spaß an unseren Gesprächen verdorben. Er selbst hatte mir einmal gesagt:
»Entschuldigt, Principessa, wenn ich heute nicht rede. Aber mich quälen Gedanken, die mir den Appetit rauben und die Lust zu reden.«
Und ich Feigling getraute mich nicht, diesen Sprung zu tun, der ihn und mich befreit hätte. Wie konnte ich auch? Ich wagte ja nicht einmal, an diese Lavawände zu denken, die rundherum immer tiefer nach unten glitten und schließlich in der unsichtbaren Tiefe verschwanden.Tagsüber schlug ich mir an den Kopf und die Brust und schalt mich einen Feigling. Nachts verließ mich das Auge des Brunnens nie und starrte mich aus den dunklen Ecken der Zelle an, so daß ich mich an die Bettlaken klammerte, hellwach vor Angst, hineinzustürzen. Ich würde es nie schaffen. Es hatte keinen Sinn. Wenn ich wenigstens hätte schwimmen können. Wenn Tuzzu mich nur mit ans Meer genommen und mich schwimmen gelehrt hätte! Er hatte immer gesagt, daß es selbst einem Dummerchen wie mir leichtfallen würde:
»Zuerst muß man lernen, sich totzustellen: Es reicht schon, wenn man sich mit dem Rücken aufs Wasser legt, als wär’s eine Wiese, ganz ohne Angst, mit ausgestreckten Armen und Beinen. Wenn du keine Angst hast, trägt dich das Wasser, so wie dich jetzt die Erde trägt.«
Das schwarze Gras öffnete sich unter dem Gewicht meines toten Körpers, schleifte mich fort und schlug mich gegen die Klostermauern, während sich die glühende Sonne lächelnd in die Lavaarme des Sensenmannes warf. Die Sonne log, sie wußte, daß sie nie sterben würde …
Nein, ich hätte es nie geschafft, wenn aus dem zahnlosen Mund von Schwester Costanza nicht das Zeichen gekommen wäre, daß Gott mir vergeben hatte.
»Gott hat dir vergeben. Hier ist ein Koffer. Pack deine Sachen zusammen: Hemden, Kleider, Strümpfe, eine Garnitur Bettwäsche, eine Decke und alle persönlichen Gegenstände, auch den Rosenkranz aus Gold und Perlen, den dir Madre Leonora geschenkt hat. Und natürlich die Gebetbücher, die anderen nicht. Dort, wo du hingehst, wirst du keine Gelegenheit mehr haben zu studieren, aber dafür hast du das Privileg, einen Beruf zu erlernen. Den kannst du dir aussuchen: Schneiderin, Stickerin,Köchin, du kannst eine dieser bescheidenen Tätigkeiten – der einzigen, die einer Frau anstehen – auswählen. Studieren ist ein Luxus, der die Frau verdirbt, wie unsere Mutter Oberin in Turin immer gesagt hat. Ich habe noch nie ein Buch aufgeschlagen, das kein Gebetbuch war. Und sobald Gott will, daß ich die Führung hier im Kloster übernehme, wird dieser Verschwendung von Zeit und Geld ein Ende gesetzt. In zwei oder drei Tagen, wenn wir nach einem Wagen schicken können, wirst du in das Waisenhaus von Pietraperzia gebracht, das für seine Strenge und Disziplin bekannt ist. Madre Leonora nimmt die Bürde auf sich, das Monatsgeld zu zahlen. Und damit du um ihre edle Gesinnung weißt und dir ein Beispiel daran nimmst, sollst du wissen, daß du dir um deine Zukunft keine Sorgen zu machen brauchst, wenn du volljährig wirst und in die Welt hinausgehen solltest – immer vorausgesetzt, daß dein Benehmen sich mit den Jahren bessert. Denn sie hat dich in ihrem Testament bedacht. Sie ist sehr krank. Ich sehe, daß dich die gute Nachricht, die ich dir überbringe, nicht freut. Und das bestätigt mich in der Annahme, im Gegensatz zu dem, was Madre Leonora meint – die immer zu gut ist und die Zügel in diesem Kloster schleifen läßt –, daß die Einsamkeit dieser Monate nicht ausgereicht hat, um dich Demut zu lehren und dich erkennen zu lassen, wie viele Sünden des Stolzes – und andere, von denen ich nichts weiß und auch nichts wissen will – du in diesen Jahren auf dich geladen hast. Es hat nichts genützt. Wir, die Alten, haben uns noch nie getäuscht: Unsere Entscheidung war richtig. Dort, wo du hingehst, wirst du Demut und Verzicht lernen, die einzigen Übungen, die deine Seele retten können. Nur daran haben wir Alten gedacht: deine Seele zu retten. Auf Wiedersehen für heute, Modesta. Wir sagenuns ordentlich Lebewohl, bevor du dieses Haus verläßt. Man hat dir zugestanden, dich von uns allen im Rahmen einer offiziellen Zeremonie zu
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