Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
dessen hatten ein paar falsche Worte gereicht, um sie in die Einsamkeit zu verbannen bei trokken Brot und wenigen dünnen Suppen, die denen ihrer Kindheit glichen, als sie über die Ebene gestreift war auf der Suche nach Tuzzu.
Nur an Tuzzu erinnerte sie sich … aber warum? Vielleicht war es normal, daß man sich nur an die schönen Dinge zu erinnern suchte. Aber wenn dem so war, dann war das vielleicht falsch. Denn man lernt mehr von seinen Feinden – das hatte sie irgendwo gelesen – und von den schlechten Erfahrungen als … Ja, so mußte es sein. Und ich beschloß, von diesem Tag an nichts mehr zu vergessen – weder das Gute noch das Schlechte – um immer die ganze Vergangenheit vor Augen zu haben und so zumindest die schon einmal begangenen Fehler zu vermeiden.
»Hab keine Angst, Principessa! Es gibt gegen alles ein Mittel, außer gegen den Sensenmann.«
Das war Mimmos Stimme! Seit über einem Monat hatte niemand mehr ein Wort mit mir gesprochen, und ich sah ihn erschrocken an. Wie immer lehnte er lächelnd an einem Baum, die Zigarette im Mund. Sein in dunkelbraunen Samt gehüllter Körper wirkte aus der Ferne wie ein zweiter Stamm, eine Laune der Natur, der aus der Eiche wuchs.
»Wer wie ich zwischen den Bäumen arbeitet, kleidet sich nach altem Brauch in den Farben der Natur, um die Launen dieser Signora zu befriedigen und ihren Schutz zu genießen. Die Natur ist ein launisches Weib. Nimm einmal diese Schwestern … Ich will ja nicht schlecht von ihnen reden, aber stell dir vor, bei der wenigen Erde, die es hier gibt, lassen sie mich Geranien und Hortensien anpflanzen …«
Wie oft hatten wir gemeinsam dort geplaudert, wo der Wald so dicht war, daß man keinen halben Meter weit sah. Aber in meiner Lage durfte ich nichts riskieren. Schade. Ohne zu antworten, senkte ich den Kopf und drehte ihm den Rücken zu. Wirklich schade. Mimmo hatte mir immer schöne Dinge zu sagen und rief mich mit hundert verschiedenen Namen, wenn ich gedankenlos umherlief und kaum Lust hatte, ihm zuzuhören. Er nannte mich Sonnenblume, Fräuleinchen, Principessa …
»Warum Principessa, Mimmo? Das bin ich doch gar nicht.«
»Und ob du das bist! Adelig aus einer Laune der Natur, die sich manchmal einen Spaß daraus macht, einer gebürtigen Fürstin krumme Beine zu geben und dem armen Schlucker einen eleganten, königlichen Gang. Ach, kleine Fürstin, mir blutet das Herz bei dem Gedanken, daß deine Lilienhaut dazu bestimmt ist, hinter diesen Mauern zu verwelken. Gestern bei Sonnenuntergang,und mich soll der Schlag treffen, wenn ich nicht die Wahrheit sage, hast du ausgesehen wie eine blasse Rose, die die Strahlen der Sonne vergolden. Und wenn ich eine Biene wäre, hätte ich keinen größeren Wunsch, als mich auf der Rosenknospe deines Mundes niederzulassen.«
Ich hatte mich auf die Zehenspitzen gestellt, ihm das Gesicht zugewandt und mit geschlossenen Augen geantwortet:
»Komm, Mimmo, tu so, als wärst du diese Biene und laß dich auf mir nieder.«
Aber er hatte sich nicht bewegt. Erst als ich die Augen öffnete, hatte er geantwortet:
»Nicht mit geschlossenen Augen, Principessa. Blüte und Biene küssen sich mit offenen Augen.«
Und er kam näher und legte mir seine große Hand so leicht zwischen Schulter und Hals, wie ich es einer Eiche nie zugetraut hätte.
»Und außerdem mache ich meine Komplimente ohne Hintergedanken, Principessa. Oder besser gesagt, nur mit dem einen Hintergedanken, unter den Fingern die Seide dieses Schwanenhalses zu spüren. Einmal war ich in Catania, einer großen Stadt weit weg von hier, sehr weit weg, unten am Meer. In dieser Stadt gab es – wer weiß, ob es ihn noch gibt, das war vor vielen Jahren – einen riesigen Garten, den sie Villa Bellini nannten. Man hat mir gesagt, daß dieser Bellini dort ein großer Herr gewesen ist, einer von denen, die überall zwischen den Bäumen in Stein gehauen herumstehen. Wie viele Statuen es dort gab! Und nicht nur Statuen, sondern auch eine Art von Altar, auf dem eine Musikkapelle spielte – nicht für Geld wie in den Theatern, sondern umsonst, für alle. Und dann sitzen da zwischen den Bäumen neben den Statuen alte Männer und erzählen denen, die stehenbleiben,abenteuerliche Geschichten aus vergangenen Zeiten. Diese Alten lassen sich bezahlen, aber nur wenig, nur ein paar Centesimi. Das Schönste in diesem Garten ist jedoch ein großer See voller Schwäne, die du, wenn du dich ihnen mit Anstand näherst, streicheln kannst. Und ich versichere Euch,
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