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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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gefolgt sind.«
    »Welchem Ruf?«
    »Dem Ruf des Brunnenwassers, das vergessen läßt, Principessa, und dorthinein haben sie sich gestürzt. Zwei habe ich mit eigenen Händen herausgezogen. Mein Vater zu seiner Zeit auch eine. Mein Großvater, Gott hab ihn selig, wer weiß wie viele! Aber der war vom alten Schlag und hat darüber geschwiegen. Damals schwieg man über alles. Selbst im Familienkreis, vor seinem eigenen Fleisch und Blut, hat man geschwiegen. Das waren stumme Zeiten!Aber in den letzten zwanzig Jahren hat sich einiges getan. In den Dörfern unten im Tal beginnt man zu reden, vorsichtig zwar, aber man redet. Und auf dem Festland erst, nach dem, was mir mein Sohn erzählt, der Kaufmann ist und oft dorthin reist, brodelt es vor neuen Ideen. Sie reden auch gegen diesen Krieg, der jetzt ausgebrochen ist. Und wann hat man jemals zuvor gegen den Krieg geredet? Mein Sohn Giovanni sagt, daß der Funke der Rebellion schon bald auch hierher überspringen und die Gemüter erregen wird, vor allem in den Schwefel- und Salzbergwerken … Wenn du ihn sehen könntest! Er ist ganz entbrannt für diese neuen Ideen der Rebellion.«
    »Rebellion gegen wen denn?«
    »Gegen wen rebellieren wohl die Armen? Gegen die Reichen, den Adel und die Kirche.«
    »Also war der Arzt einer von ihnen?«
    »Genau. Früher nicht, aber seit einigen Jahren hat er sich verändert wie mein Sohn Giovanni.«
    »Aber der ist doch nicht arm, der ist doch Arzt.«
    »Er wird wohl eine Ausnahme sein. Auch wenn Giovanni sagt, daß es dort auf dem Festland viele Ärzte, Lehrer und Anwälte gibt, die auf der Seite des Volkes stehen.«
    »Stimmt das denn, was dein Sohn sagt?«
    »Natürlich! Und ich bin besorgt. Er redet immerzu von diesen Dingen. Mein Giovanni ist ein Hitzkopf! Ich habe Angst, daß er eines schönen Tages …«
    »Und du, was hältst du davon?«
    »Ich, Principessa, bin von Natur aus vorsichtig. Und auch wenn mir die Regeln dieses Klosters und viele, viele andere Dinge, die an der Kirche nicht recht sind, mißfallen, glaube ich doch an Gott. Ja, an Gott glaube ich.«
    »Wie, glauben die etwa nicht an Gott?«
    »Ach, wenn es nur so wäre, daß sie nicht an ihn glaubten, mein Kind, könnte ich das ja noch verstehen. Aber sie hassen und bekämpfen ihn. Und das ist es, was mich vorsichtig sein läßt. Ohne die Lehren des Evangeliums gerät unsere Jugend auf Abwege … Was hast du denn, daß du plötzlich rot wirst? Ist es der Gedanke an all diese Gottlosen? Ach, Mimmo, Mimmo! Meine Tochter hat recht, Mimmo redet zuviel!«
    Was hätte ich ihm antworten sollen? Daß die Entdeckung, nicht die einzige zu sein, die an Gott zweifelte, mein Blut so sehr in Wallung gebracht hatte, daß ich die Lippen fest zusammenpressen mußte, um nicht vor Freude laut loszuschreien? Ich senkte den Kopf, ballte die Fäuste, so daß sich meine Nägel tief in die Handflächen gruben (dadurch würde ich blaß werden, das wußte ich), und sagte:
    »Keine Sorge, Mimmo.«
    »Ich habe keine Ruhe, wenn ich dich so um diesen Brunnen kreisen sehe. Zwei habe ich, wie gesagt, mit meinen eigenen Händen schon herausgefischt.«
    Seine Aufregung verriet mir, daß ich ins Schwarze getroffen hatte. Jetzt würde er mich keine Sekunde mehr aus den Augen lassen. Ich starrte ins Leere, wurde immer blasser, je tiefer sich mir die Nägel in die Handflächen bohrten, und stand auf, wobei ich so stark schwankte, daß er mich stützen mußte.
    »Keine Sorge, Mimmo, es werden wohl die Sonne und die Feuchtigkeit gewesen sein, du hattest recht. Gut, daß du mich geweckt hast. Auch wenn inzwischen … Vielleicht wäre es für mich eine Befreiung gewesen, mir eine schöne Lungenentzündung zu holen und einzugehen in eine bessere Welt … Danke, Mimmo, auf Wiedersehen.«
    Ohne mich noch einmal umzudrehen, ging ich unsicheren Schrittes, wie es in den Romanen heißt, in Richtung Kloster. In meinem Rücken spürte ich, wie Mimmo starr vor Sorge dastand, und beinahe hatte ich Mitleid mit ihm. Das Verlangen, mich umzudrehen und zu ihm zu laufen, um ihn zu beruhigen, war so stark, daß ich wirklich schwankte. Aber jetzt war keine Zeit für Mitleid, sondern Zeit zu handeln.

13
    Es zeigte sich jedoch, daß es nicht so einfach war zu handeln, wie ich gedacht hatte. Schon seit Tagen zogen Wolkenberge wie Schwingen riesiger, toll gewordener Vögel über das Kloster hinweg, und ich hatte Angst. Ich ging zu dem Brunnen und schaute auf seinen Grund, aber auch hier schlugen die Wolkenmassen mit ihren dunklen

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