Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
das nur sein, Mody, daß du mir nicht antwortest?«
»Er läßt mit der Müdigkeit nach?«
»Ja.«
»Dann schlaf, mein Kind, die Schlange des Schmerzes kriecht im Schlaf weit weg.«
»Hast du Kind gesagt?«
»Ja, Picciriddu.«
»Gestern abend hast du mich umarmt. War das aus Dankbarkeit für das Geld?«
»Nein, es war, um die Wirklichkeit des Steins und des Wassers zu berühren, wie du eben gesagt hast.«
»Was ist los, Mody, du bist ganz blaß geworden? Warum zitterst du? Komm, setz dich.«
»O Mattia, ich glaubte zwischen den Bäumen eine weiße Gestalt zu sehen.«
»Wo?«
»Dort hinten zwischen den Zweigen von Großmutter Gaias Trauerweide. Sie liebte diesen traurigen Baum, und in der Mittagshitze saß sie Stunde um Stunde in seinem Schatten und las … Sie hielt niemals Mittagsschlaf.«
»Ich kann nichts sehen, Mody, vielleicht hast du dich an sie erinnert und sie vor deinem inneren Augen erblickt. Im Ringen von Sonne und Schatten finden die Toten ihren Weg: Es ist zwölf, um diese Uhrzeit wird die Sonne schwarz.«
»Als Kind hatte ich in diesem Zimmer immer Angst, es kam mir riesig vor, dabei ist es klein. Und auch der Park schien unendlich groß … Vielleicht war es ein Sonnenstrahl auf einer der weißen Statuen. Ich hatte die Statuen vergessen. Laß uns hinausgehen, ich möchte sie mir anschauen.«
»Gehen wir, ich ziehe meine Jacke aus, wenn du erlaubst. Ich hatte sie übergeworfen, weil es kühl ist in diesen Mauern, wenn man von draußen hereinkommt.«
»Wie damals, Mattia. Auch ich legte mir beim Eintreten immer ein Schultertuch um.«
Vor dem Haus blendet die Sonne. Immer wenn ich hinausgehe, werde ich von der Sonne geblendet, und die weißen Statuen führen schweigend ihren rasenden Tanz auf: »Eins, zwei, drei … eins, zwei, drei, hinunter im Galopp zur Sonne.«
»Wohin läufst du? Du wirst schwitzen und dir eine Erkältung holen, Mody! Was suchst du? Hier ist niemand. Oh, starkes Mädchen, wo bist du?«
In der Ferne schwingt sich Mattias Stimme in immer höhere Lagen auf. Oder ist es Beatrice, die in der Geisterstunde erschrocken nach mir ruft? Nicht Großmutter Gaia bringt das Geäst ihrer Weide zum Rascheln. Joyce sieht mich an, starr: Ihre weit geöffneten Augen sind stumm.
»Was machst du hier, Joyce?«
»Diese Frage sollte ich dir stellen.«
»Ich bin eingeschlafen.«
»Der Schlaf kommt dir häufig recht gelegen.«
»Wie bist du hergekommen?«
»Wie du auch, mit dem Auto.«
»Als ich als Mädchen hinter diesen Klostermauern saß, dachte ich immer, daß es viele Tage brauche, um nach Catania zu gelangen, und dann erblickte ich Catania zum ersten Mal nach gut einer Stunde Fahrt, hinter der Kurve erschien das Meer, und ich traute meinen Augen nicht.«
»Deine Geschichten interessieren mich nicht, Modesta. Lebe wohl!«
»Warte, komm hoch, ich zeige dir, wo ich aufgewachsen bin.«
»Rühr mich nicht an! Geh zu ihm, hörst du nicht, wie er dich ruft?«
»Dein Verdacht ist völlig unbegründet, Joyce, warte! Mattia und ich haben nur geredet …«
Joyce dreht sich um, weiß, die Arme hängen lang am Körper herab, sie dreht sich um eine marmorne Achse und verschwindet zwischen den wäßrigen Zweigen der Weide.
»Sie ist verschwunden.«
»Wer, Mody? Oh, du machst mir angst, jetzt habe ich auch etwas gesehen.«
»Es ist Joyce.«
»Warum läuft sie weg?«
»Sie ist eifersüchtig, besser gesagt, sie spielt die Eifersüchtige. Früher konnte ich drei Tage lang weg sein, und sie merkte es nicht einmal.«
»Was ist zwischen dir und ihr, Mody?«
»Du fragst nach dem, was du schon weißt: Liebe, Mattia. In mir eine große Liebe, die mich hat glauben lassen, daß auch sie mich liebt. Das kann passieren, aber dann habe ich es gemerkt, und jetzt ist sie gestorben in mir … Du hattest recht, ich hätte nicht so laufen dürfen, jetzt bin ich ganz verschwitzt und schwindelig.«
»In der Mittagshitze zu rennen kann das Blut in Aufruhr versetzen! Beweg dich nicht. Leg dich hin, so ist es gut, in den Schatten, und nicht reden!«
In der Stille kämpft der grüne Schatten der Zweige mit der Schwärze der Sonne.
»Zuvor lag sie hier, sieh nur das niedergedrückte Gras.«
»Nicht sprechen, beruhige dich, deine Gesichtsfarbe gefällt mir ganz und gar nicht.«
»Sie war hier.«
»Wer, Mody?«
»Der Geist … Sie hat ganz stillgehalten und spioniert.«
»Der Geist ist fort, und wenn du dir Ruhe gönnst, wird er nicht zurückkommen.«
In der Stille neigt sich der grüne Schatten der
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