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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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Gesicht zu sich hin.
    »Warum senkst du den Kopf, Mama, bist du traurig? Du hast recht, das sind alles Klischees. Ich habe mich entschieden!«
    »Wozu, Jacopo?«
    »Ich habe zwischen Philosophie und Medizin geschwankt, wie du weißt. Nun werde ich Arzt. Du hast recht, es gibt noch zu viele greifbare Übel, um mich in Theorien zu verlieren. Während du gesprochen hast, ist mir wieder eingefallen, oder habe ich das nur geträumt? Mir ist Bambú wieder eingefallen, wie sie sich im Bett windet und immer nach ihrem Hals greift … Wann war das?«
    »1932, glaube ich, du weißt, wie schlecht ich mit Jahreszahlen bin. Es war eine Diphtherie-Epidemie. Ichweiß noch, wie Bambú aus der Schule kam und nicht aufhören konnte zu weinen, weil in ihrer Klasse von siebenunddreißig Kindern nur fünf oder sechs übrig waren. Erinnerst du dich an die Häuser unten in der Civita, mit den Trauerbändern aus schwarzer Seide?«
    »Ja.«
    »Alles Kinder.«
    »O Mama, wie klein du ohne Absätze bist.«
    »Du bist es, der allmählich zur Bohnenstange wird! Im übrigen war Onkel Jacopo einen Meter neunzig groß, geradezu absurd für diese Insel von Zwergen. Vielleicht war er auch deswegen immer so traurig.«
    »Du kommst mir vor wie ein Kind … Auch er war Atheist, nicht wahr?«
    »Ketzer, damals nannten sie ihn zur Schmach Ketzer.«
    »Und Carlo, Bambús Papa, war auch Ketzer, stimmt’s?«
    »Ja, das weißt du, warum fragst du?«
    »Ich zähle sie nur … Dann sind es mit mir schon drei Generationen. Wir gründen einen neuen Adel, wenn das Wort nicht so schrecklich wäre. Tschechow sagt: ›Wer dem Menschen die materialistische Ausrichtung verbietet, verbietet ihm die Suche nach der Wahrheit. Außerhalb der Materie gibt es kein Experiment, keine Wissenschaft und folglich keine Wahrheit.‹«
    »Ja, aber was sagt uns das jetzt?«
    »Auch er war Arzt, ein neuer Adel! Ich mache nur Spaß, Mama. Wie klein du bist.«
    »Deshalb habe ich dich ja gebeten, mich zu adoptieren.«
    »Und ich küsse dich auf die Stirn wie ein echter Vater. O Mama, du schneidest dir ja gar nicht mehr die Haare. Prando hat recht, lange Haare stehen dir gut, wie als wir noch klein waren. Ich hatte es vergessen.«
    »Dabei hast du als Kind immer daran gezogen.«
    »O ja, jetzt bekomme ich auch wieder Lust dazu: Sie sind so weich! O Mama, schneide sie nicht mehr ab, komm, schau dich im Spiegel an, sieh nur, wie gut dir das steht.«
    In seinem Blick sah ich, wie wir zusammen neu geboren wurden.

77
    Jacopos Schwangerschaft dauerte viele Monate, dann endlich gebar seine Intelligenz neues Leben. In der Zwischenzeit denke ich wenig an mich und an Prando, der abreist und mit Geschenken für Stella, Bambú und Mela zurückkehrt, um fast augenblicklich wieder abzureisen, eingeschlossen in sein Schweigen. Ich hatte mich nicht geirrt, in seiner Eile bei jedem neuen Abschied, wenn er Stellas Tränen schnell und ärgerlich den Rücken kehrt, liegen kein Bedauern, kein Groll, sondern lediglich der Wunsch nach Freiheit. Und Joyce?
    Mit jedem Tag schöner, geistert sie wie eine Scheintote durch das Haus, erforscht die Gesichter, eifersüchtig, launisch. Aber hier auf der Insel wissen wir mit Toten umzugehen, sie, wenn nötig, zu beruhigen und niemals auf sie zu hören, wenn sie flüstern:
    »Wir waren so glücklich, Modesta, was ist nur geschehen?«
    Geschehen ist, daß du mit nichts zufrieden warst und deinem Traum nach Vollkommenheit hinterherliefst, und nun liegst du drei Meter unter der Erde in meinem Garten begraben und möchtest die Zeit zurückdrehen. Doch den Lebenden ist das Gestern nur Dünger für das Heute, das neu, greifbar und strahlend ist wie die Sonne. Ichtrage die Sonne in mir und um meinen Hals, in den Haaren Jacopos Zärtlichkeiten.
    »Und warum bist du jetzt immer mit Jacopo zusammen?«
    Es packt sie eine wilde Eifersucht, die Eifersucht der Padrona rötet ihre Wangen, und wie damals wende ich den Blick von den violetten Flecken ab, die ihr Gesicht entstellen. Doch man muß Geduld haben, und im Grunde hat sie recht, bis gestern war ich eine treue Braut, und sie wiegte sich in Sicherheit und brüstete sich vor sich selbst damit, nicht eifersüchtig zu sein wie alle Sterblichen. Ach, Joyce, was nützen dir deine Intelligenz und dein Wissen, wenn du dennoch keinen Millimeter vom Laster der Schuld abzurücken imstande warst? Wie hochmütig hast du erklärt: »Meine Mutter? Eine Masochistin, die mit diesem Gutsherrn aus Todi ihren Peiniger gefunden hatte.« Ich sehe

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