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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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körperliche Wonne ohne Brüche, ohneUngewißheit. Auch er kann es nicht glauben, erstaunt sieht er mich an. Ich spüre, wie seine Hände wißbegierig meinen Körper erforschen, Hände eines Blinden, der zum ersten Mal sieht. Es war richtig, vor den morastigen Tränen der Chiana zu fliehen, es war richtig, zu ihm zu laufen. Nachdem er mich angeschaut hat, läßt er sich auf mich sinken, schwerer und leichter Angelpunkt für das Gleichgewicht meines Körpers.

78
    »Ich dachte, du seist abgereist, Joyce.«
    »Nein, ich wollte abwarten, ob du es wagen würdest, noch einmal das Wort an mich zu richten. Also? Behauptest du immer noch, ihr hättet die ganze Zeit nur geredet?«
    »Zuerst ja, aber nachdem du aufgetaucht warst, haben wir angefangen, uns zu lieben.«
    »Du bist ekelhaft! Ich wußte, daß du nur die nächste Gelegenheit abpassen würdest, um zur Normalität zurückzukehren.«
    »Ich bin eine Frau, Joyce, und für mich ist es normal, Männer und Frauen zu lieben. Wenn ich gebären möchte, muß ich lieben, was mir im Schoß erblühen kann. Für Männer mag es anders sein, vielleicht können sie sich zerstreuen, nachdem sie ihren Samen abgeworfen haben.«
    »Was meinst du damit?«
    »Daß ich ein Kind erwarte, Sohn oder Tochter, wer weiß!«
    »Wie niederträchtig! Sie nutzen die erstbeste Gelegenheit, um dich zu unterwerfen!«
    »Du irrst. Er weiß, wie man sich liebt, ohne einanderzu unterwerfen: Er kann mit dem kleinen Handschuh umgehen, wie Carmine ihn nannte.«
    »Ekelhaft!«
    »Und unsere Küsse und Zärtlichkeiten, waren die nicht genauso ekelhaft, Joyce? Ich habe ihn darum gebeten. Bevor die Zeit meiner Fruchtbarkeit vorüber ist, will ich alle Kinder haben, die mein Leib und meine Vorstellungskraft von mir fordern.«
    Unnötig, diesem Gespräch Bedeutung beizumessen. Ich log, um sie aus der Reserve zu locken und ihr so die Kraft zur Abreise zu geben. Doch nun, da sie, gestärkt durch die Empörung, abgereist ist – manche Menschen schöpfen die Kraft zu handeln erst aus der moralischen Entrüstung –, kann ich es euch ja sagen: Nicht ich erwarte ein Kind, sondern Stella. Rund und abwesend läuft sie durch das Haus und erwartet ein Baby, ohne es zu wissen. Seit fünf Monaten glaubt Stella krank zu sein und ist dabei ganz ruhig. Wie hatte ich nur diese Müdigkeit um ihre Augen, die zerstreuten Bewegungen, das immer häufigere In-sich-gekehrt-Sein und den nach innen lauschenden Gesichtsausdruck mißdeuten können?
    Einen Monat lang irrten wir durch weiße Flure mit Glastüren, die sich sachte hinter dem Wort Tumor schlossen. Lange Reisen auf samtbezogenen Sitzen, unterlegt vom Rattern der Räder, während der Fahrtwind das eine Wort leise wiederholte, bis zu dem belustigten Lächeln jenes jungen Arztes oben im Norden, in der sich unendlich weit erstreckenden Stadt, die Stella solche Furcht einflößte …
    »Nichts Schlimmes. Sie erwartet schlicht und einfach ein Kind. Das passiert häufig. Auch hier – auf dem Land, wohlgemerkt – glauben die Frauen, sie seien in der Menopause, und dann … Aber ich will Euch nicht langweilen.Sie ist kerngesund, und die Schwangerschaft ist schon so weit fortgeschritten, daß sie das Kind wird austragen müssen, wie ich fürchte.«
    »Wie Ihr fürchtet, Doktor? Wenn Ihr mir sagt, daß für Stella keine Gefahr besteht, finde ich das geradezu großartig.«
    »Keinerlei Gefahr. Ich konnte feststellen, daß ihr Gewebe dem eines jungen Mädchens gleicht, trotz ihrer vierzig Jahre. Wenn überhaupt, fürchte ich für die Dame, daß sie sich erschrecken könnte. Aber ich glaube, daß Frau Stella bei Euch in guten Händen ist.«
    »Welch eine Schande! Wie kann das sein? Doktor Antonio und die Hebamme haben doch gesagt, ich sei in der Menopause. Welch eine Schande!«
    »Schluß jetzt! Ich bin froh, daß du nicht krank bist. Was täte ich ohne dich in dem großen Haus?«
    »Und du fragst mich gar nicht, von wem es ist?«
    »Wenn du es nicht sagen willst, mußt du nicht, Stella.«
    »Aber ich … auch wenn ich mich schäme, will ich es dir sagen. Wenn ich einen Fehler begangen habe, muß ich wohl dafür geradestehen. Aber du darfst es nicht den Kindern sagen. Du sollst es wissen, und wenn du mich dann nicht mehr sehen willst, werde ich nach Hause zurückkehren. Denn es war ein großer Fehler von Stella, von Prando schwanger zu werden. Und auch er darf es nicht erfahren, du aber schon, und wenn du willst, kannst du böse auf mich sein, du hast das Recht dazu, und auch die Hand

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