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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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Kopfschmerzen.«
    »Kopfschmerzen? So stark, daß du mir nicht antworten kannst? Ich kenne dich, du weichst mir aus, weil du dagegen bist. Du bist gegen Mattia, genau wie Prando und Mela.«
    »Wie Mela?«
    »Ja! O Tante, warum kann man nicht immer glücklich sein?«
    Bei diesem Satz fegt die mit ihren eigenen Worten heraufbeschworene Beatrice Carlos Stimme hinweg und nimmt Bambolinas Gestik in Besitz, die aufs Bett zurückfällt und unter Tränen der Verzweiflung darauf eintrommelt.
    »Alle sind gegen Mattia, alle! Bei Prando kann ich es ja noch verstehen, aber die hat wahrlich kein Recht dazu!«
    »Wer die?«
    »Mela! Ich habe nichts gesagt, als sie sich an diese unterkühlte Ippolita gehängt hat. Sie hat nur noch Augen für sie, ist immerzu mit ihr am Üben. Was will sie also? Und jetzt, wo sie ihren Abschluß hat, bricht sie auf, wird in die Welt hinausziehen! Warum mäkelt sie also immer an meiner Liebe zu Mattia herum? Warum diese Härte? Warum zerstört sie alle Erinnerungen an unsere Freundschaft? Ich will niemanden hassen, niemanden. O Tante, hilf mir, ich will Prando und dich nicht hassen. Hilf mir!«
    »Hilf mir, Modesta, hilf mir!« Wieder ist Beatrice zurückgekehrt und weint in meinen Armen: ihre warme und leichte Verzweiflung von damals, als sie durch den Sand läuft oder allein in den seidenen Wänden des Salonstanzt, um mir die korrekten Walzerschritte zu zeigen. Und doch irritieren mich diese kleinen zitternden Hände, das federleichte Haar raubt mir den Atem.
    »Was tust du da, Tante, schickst du mich fort? Was ist?«
    »Ich schicke dich nicht fort. Ich bin müde, das habe ich schon gesagt. Geh zu Bett.«
    »Einfach so, ohne deine Zustimmung?«
    »Du bist erwachsen, Ida. Du brauchst niemandes Zustimmung mehr.«
    »Du bist gemein, du weißt, daß ich sie brauche. Du läßt mich also hängen, machst mir klar, daß ich euch verlieren werde. Entweder Mattia oder ihr, stimmt’s?«
    Ida hatte recht, und dieses Recht sprach aus ihrem feierlichen Schritt, ihrem entschlossenen, furchtlosen Gesicht. Oder ist es der Mond, der sie so groß und schön erscheinen läßt? Ich muß Zeit gewinnen vor dieser plötzlichen Schönheit, die mich quält.
    »Du hast recht. Ich bin verwirrt, weil ich bald abreisen muß.«
    Was rede ich da? Wohin soll ich reisen?
    »Abreisen? Wohin denn? Du erschreckst mich, Tante.«
    »Tja, ich bin auch erschrocken, Ida, bitte hab Geduld, wenigstens bis morgen.«
    »Tante, bist du etwa krank und sagst es uns nicht?«
    »Nein, nein, ich bin kerngesund.«
    »Oh, zum Glück! Bei allem, was passiert ist!«
    »So, geh zu Bett. Warten wir den Morgen ab. Bitte, Ida, morgen können wir über alles reden.«
    Der Mond muß sich versteckt haben, denn dort, wo der schlanke, von Idas weißer Tunika makellos modellierte Körper stand, herrscht nun schwarze Finsternis. Diese totale Dunkelheit kündigt das bleiche Gespenst des Morgens an. Ich kann nicht schlafen, auch weil nun,wo es im Haus still ist, das Geräusch, das ich in der Nacht zuvor zu träumen glaubte, erneut an meinem geschlossenen Fenster leckt. Ein dumpfes Geräusch wie von riesigen Pranken, die in der Ferne über den Sand schleifen. Zweimal, dreimal, ein lang anhaltendes Kratzen, dann plötzlich Stille, gefolgt von einem tiefen Grollen (eine Welle oder ein Motor?). Vom Fenster rollt das Grollen nun hinüber zur Tür und wirft sich mit aller Kraft dagegen, oder ist es immer noch die Pranke, die in einer fernen Bucht am Strand versteckt zugange ist? Nein, ich träume nicht, die Tür geht auf, und schweigend treten zwei Riesen ein, gefolgt von einer hochgewachsenen, grazilen Gestalt in einem prachtvollen Morgenmantel aus weißer Seide. Auch ihre Mutter trug immer weiß.

79
    Als sie neben mir stehen, haben sie wieder Normalmaß angenommen. Die Uniformen lassen ihre Beine länger erscheinen und die Achselklappen ihre Schultern unmäßig breit. Als ich mich beim Einsteigen ins Auto an einem Arm festhalte, spüre ich zwar starke Muskeln, aber sie ähneln denen von Mattia, von ’Ntoni, nicht denen eines Riesen. Der Stoff ist extra so geschnitten, daß er die Brust- und Rückenmuskulatur gewaltig hervortreten läßt. Um Mela nicht zu hören, die in Jacopos Armen weint, um nicht die angstvolle Leere zu sehen, die Idas Blick ersetzt hat, drehe ich mich zum gegenüberliegenden Fenster. Seit vielen Jahren bin ich nicht mehr im Morgengrauen hinausgegangen, vielleicht kann ich bei der Gelegenheit herausfinden, wer seit zwei, drei Tagen dort im Sand

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