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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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könnte. Springen oder sich gehenlassen und vergessen? Das ist der verborgene Sinn des Wortes Alter: ein tröstliches Aus-dem-Leben-Desertieren, das Feld räumen, das die Jugend mit ihren Stimmen und Gefühlen unter Maschinengewehrbeschuß nimmt und leer fegt. Der junge Mensch erinnert dich daran, daß du alt werden mußt, vielleicht sehnt er dein Alter und deinen Tod geradezu herbei, und du sagst plötzlich: Sie ermüden mich, ein alberner Satz, hinter dem sich Neid und Angst verbergen. Und die Angst drängt dich dazu, alt zu werden, ihnen mit dem Feuer der Weisheit Scheu einzuflößen. Und sie mit der Scheu zurückzutreiben: Feuer und Gegenfeuer, wie im Krieg. Der alte Kampf, den kein Sozialismus jemals wird befrieden können. Gerade will ich unter die Decken schlüpfen, da klopft Ida an die Tür: »Tante, Tante, schläfst du schon? Darf ich hereinkommen?«
    Soll ich sie einlassen? Oder soll ich wie Gaia der Furcht nachgeben und sie mit harten Worten wegschicken? Nein, du hast den feigen Weg gewählt, Gaia! Ich werde dir nicht weiter folgen.
    »Ich schlafe nicht, Ida, komm rein.«
    »Hast du Angst gesagt, Tante? Du und Angst? Wovor?«
    »Vor allem, Ida, das weißt du.«
    »Auch ich habe immer Angst, aber du selbst hast mir beigebracht, daß auch die Angst einen Nutzen haben kann.«
    »Stimmt, darüber dachte ich gerade nach, als du geklopft hast.«
    »Dann lasse ich dich allein.«
    »Nein, warum? Ich kann danach weiterdenken, ich habe Zeit.«
    »Wie schön du bist, wenn du so daliegst! Im Licht der Nachttischlampe sieht deine Haut ganz samten aus, und deine Haare glänzen so lebendig … Mama hat die Tapete ausgewählt, stimmt’s?«
    »Ja, Beatrice hatte ein ganz besonderes Gefühl für Farben, wie du ja auch. Ich fürchte aber, daß wir sie bald werden erneuern müssen. Als ich aus der Schweiz zurückkehrte, fand ich alles irgendwie alt und abgenutzt.«
    »Das stimmt auch zum Teil. Und wenn du meinst, daß wir es uns leisten können, mach dir keine Sorgen, ich kümmere mich um alles. Du wirst sehen, mit neuen, frischeren Stoffen kann ich Mamas Farben aufgreifen, und alles wird neu und dabei so schön wie immer.«
    »Das ist dein Traum, nicht wahr?«
    »O ja!«
    »Aber du wolltest wahrscheinlich nicht über die Tapeten sprechen.«
    »Jetzt, wo ich vor dir stehe, habe ich Angst.«
    »Wovor?«
    »Also, wenn du mich umarmst, traue ich mich vielleicht, es dir zu sagen.«
    Es mußte etwas Ernstes sein, da Bambú so streng und gefaßt wirkte. Oder nein, ich hatte vergessen, daß Ida, wenn sie mit Modesta spricht, immer erwachsener, selbstsicherer wird.
    »Das hatte ich vergessen …«
    »Was hast du vergessen, Tante? Du bist so merkwürdig!«
    »Ach, nichts. Was gibt’s also, laß mal hören, du zitterst ja.«
    »Oh, halt mich fest, halt mich, und du darfst nicht auf Prando wütend werden.«
    »Was hat Prando damit zu tun?«
    »Das sage ich dir, wenn du mir versprichst, nicht auf ihn wütend zu werden. Er meint es nicht böse, er ist einfach so, es ist stärker als er.«
    »Was hat er nun wieder getan?«
    »Also, gestern morgen, nach einem Spaziergang, hat er mich geohrfeigt.«
    »Geohrfeigt? Aber warum?«
    »Na ja, er kann Mattia nicht leiden. Wer weiß schon, warum! Manchmal glaube ich, daß sie sich ähnlich sind, keine Ahnung, ihr Blick, ihr Gang. Und deshalb vielleicht … Ich hab darüber nachgedacht, weißt du? Deshalb bin ich vielleicht in Mattia verliebt.«
    Bambolina hatte nachgedacht, das sah man an dem Schatten, der ihre Augen weitete und ihr eine erstaunliche Ähnlichkeit mit ihrem Vater verlieh.
    Als sie leise wiederholte: »Ich habe ernsthaft darüber nachgedacht, Tante …«, erfaßte die Ähnlichkeit mit Carlo nun auch ihre Stimme, die Handbewegungen, selbst das ruckartige Heben des Kopfes, um sich aus der Umarmung zu lösen und Modesta ins Gesicht zu sehen, ohne Furcht, Aug in Aug. Modesta hingegen hatte nicht nachgedacht. Ich werde alt, ich werde taub gegenüber den anderen, wenn ich auf eine solche Banalität nicht gefaßt war.
    »Es ist nicht bloß eine Schwärmerei, wie Prando meint, Tante. Ich bin verliebt, und auch für mich kam es wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ich habe Monate gebraucht, um zu verstehen, warum ich in seiner Nähe so glücklichbin. Wie sollte ich das auch ahnen, als ich ihn das erste Mal sah, bei dem Fest kam er mir vor wie ein alter Mann mit all den weißen Haaren … Was ist los, Tante, warum starrst du aus dem Fenster und sagst nichts?«
    »Nichts, Ida, ich habe

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