Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
Vom Netzwerk:
er, dieser Engel.«
    »Aber Jacopo kommt zurück, nicht wahr, Nina?«
    »Klar, so wie alle zurückkommen, auch Arminio, da bin ich sicher.«
    Der magische Balsam ihrer Gewißheit bringt uns alle dazu – Stella, Bambolina –, die Zimmer auf Carmelo in Ordnung zu halten, nichts sonst existiert um uns herum, weder die ausgelassene Freude derer, zu denen alle zurückgekehrt sind, noch der totenbleiche Schmerz derer, die alles verloren haben und wie blind durch Ruinen, Marktstände und Läden taumeln. Es ist schrecklich, ihren Blicken zu begegnen, die ein einziges Fragezeichen ohne Antwort sind.
    »Sieh nicht hin, Mody, mach es wie auf der Hungerinsel. Es hilft weder ihnen noch uns.«
    Und ohne hinzusehen, warteten wir einen Winter und einen Sommer lang. Und dann noch einen Winter und noch einen Sommer.

85
    Dieser goldene Sommer, unvergeßlich verschwenderisch in seiner Lichtfülle und seiner Ernte, als mache die Erde sich im Vorgefühl der endenden Sintflut bereit, jene Ruhe zu genießen, die sich plötzlich über die im vollen Korn stehenden Felder gebreitet hatte.
    Mattia: »Seit Menschengedenken hat es keine so reiche Ernte mehr auf der Insel gegeben! Unten in Catania sind sie alle schier verrückt vor Freude. Sie schreien nach Frieden, wie sie zuvor den Krieg herbeisehnten.«
    Modesta: »Immer dieselben gedankenlosen Schwachköpfe, Mattia. Schwachsinnig und vulgär, wie Großmutter Gaia gesagt hätte. Und sie sehen nicht, daß es erneut ein ausländischer Soldat ist, der sie zu dieser unsinnigen Hoffnung anhält.«
    Pietro: »Es ist alles gestoppt, Mody …«
    Bambú: »Kein einziges Flugzeug fliegt mehr, Tante.Ich wußte, daß Krieg war, als ich all die Flugzeuge über uns hörte, vor allem nachts.«
    Mattia: »1918, als der erste Weltkrieg zu Ende ging, waren wir jungen Leute froh, weil wir glaubten, daß alles besser würde. Und wir wollten die Alten nicht hören, die immer wieder sagten: ›Der Frieden ist ausgebrochen, und er wird schlimmer sein als der Krieg.‹«
    Pietro hingegen ist guter Dinge, immerhin hat er wenigstens einen ehemaligen Präfekten daran gehindert, wieder auf die Bühne zu springen und Reden zu halten.
    Pietro: »Wie hat dieser Pasquale gebettelt: ›Ich war jung, als die anderen beschlossen, Carlo zu verprügeln, was wußte ich schon? Er sollte doch nur eine Lektion bekommen.‹ Und all die guten Taten, die er angeblich vollbracht hat. Gute Taten! Meine Mody für Jahre hinter Gitter gebracht! Aber dieser dicke Schleimer behauptete immer wieder, daß er nichts tun konnte: ›Wie hätte ich sie retten sollen, wo doch der Vorwurf der Finanzierung einer illegalen Partei bereits bewiesen war?‹ Wenn sich alle so verhalten hätten wie ich und wie vom jungen Herrn Jose angeordnet, hätte man bestimmt etwas ändern können. Zumindest hätten wir uns der alten Nasen entledigt, obgleich nun die neuen aus Amerika ankommen. Gestern hätte ich beinahe einen Fehler begangen. Auf einem Jeep habe ich die altbekannten Brüder D’Alcamo gesehen.«
    Mattia: »Wer ist das, Pietro?«
    Pietro: »Zwei Mafiosi, böse wie die Hölle, so schlimm, daß man sie früher Engel nannte, bis sie verschwanden. Aber wie man weiß, können Engel fliegen, und wie sie verschwunden sind, kommen sie nun Arm in Arm mit den Ausländern zurück: Und daraus schließen wir, daß sich nichts ändern wird.«
    Bambú: »O Pietro, jetzt reicht es! Du bringst mich zum Weinen! Ihr Alten habt sicher recht, aber ich möchte lieber so heiter sein wie meine Tante, ich will hoffen! Wenigstens darauf, daß Prando, Jacopo und ’Ntoni zurückkehren. O Tante, sie müssen zurückkehren!«
    In der Stille des gleichgültigen Friedens, der über den endlosen Feldern liegt, wandele ich allein durch die absurde Fülle von Obst, Gemüse, fleischigen Blüten, die der unter den Trümmern begrabenen Toten spotten. Wie in den Zeiten der Spanischen Grippe rascheln fette Ratten (die sich von Kadavern ernähren, frage ich mich schaudernd) in den halbverfallenen Ställen und bedrohen unser Vieh. Gestern kam die Nachricht, am Morgen sei erneut ein Kind gefunden worden, dessen Füßchen von den mittlerweile katzengroßen Biestern angenagt waren. So ist es auf Carmelo zur Regel geworden, daß wir in jeder freien Minute mit der Flinte in der Hand umherschleichen, immer auf der Jagd nach unserem größten Feind. Auch ich drehe meine Runden, den Kopf ganz taub vom Lärm der Kugeln, die Handgelenke schmerzend.
    Seit zehn Minuten hocke ich hier auf der Lauer und

Weitere Kostenlose Bücher