Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
fast schon ein Adelsgeschlecht.« – »Wie das, Jacopo?« – »Onkel Jacopo, dann du, Mama, dann ich, Prando und Bambú. Und mit Carluzzu die vierte …«
Und hier ist er: ein kleiner Mann mit kräftigen Knochen, der vom Sofa herunterrutscht und verwirrt zu seiner Tante läuft. In diesen aufgerissenen Augen steht alles geschrieben, in diesen Augen liegen noch die Jubelgesänge, die Späße von vorhin. Unentschlossen, ob er die Freude wegschieben und auch weinen soll, klammert er sich an Bambolinas Rock, seine Art, um Hilfe zu bitten. Die kleinen Hände vermögen es, Bambú wachzurütteln, sie läßt Nina los und ruft:
»Aber sind wir denn allesamt verrückt in diesem Haus hier?! Carluzzu, haben sie dich etwa allein gelassen? Jetzt sehe sich das mal einer an, so einen süßen Fratz zu vergessen! Mein Kleiner, kleines Kätzlein! Was sind wir denn heute, hm, Carluzzu? Los, sag der Tante, was du heute bist: ein Kätzchen oder eine Ameise?«
»Heute bin ich ein sciccareddu , Tante.«
»Du meinst, ein Eselchen, hm, Carluzzu? Früher oder später werden wir dir doch ein paar Worte Italienisch beibringen müssen, wie?«
»Eselchen, weiß ich doch. Ich kenne auch das Lied: Sciccareddu di lu me cori … 18 «
»O Tante, als du fort warst, dachte ich, daß ich es mir nur einbilde, aber jetzt aus der Nähe … weißt du, daß Carluzzu dein Ebenbild ist?«
»Tja, kein Wunder, Bambú, wo Prando doch Modys Sohn ist.«
»Klar, klar, Nina, aber Prando ähnelt Modesta nicht. Und du, Carluzzu, magst du die Großmutter?«
Carluzzu schweigt und sieht mich ernst an. Ach ja, ich war ja Großmutter … Was man dabei fühlt? Nina hatte es mich viele Male gefragt, doch ich konnte es ihr nicht sagen. Und auch jetzt, wo mich dieses allzu ernste Gesichtchen aus großen Augen anschaut, empfinde ich nichts, aber ich beginne zu verstehen. Hinter meiner bisherigen Achtlosigkeit gegenüber dem Letztgeborenen verbarg sich der Neid auf denjenigen, der dich mit seiner Jugend an eine Zeit erinnert, die für dich Vergangenheit ist, und an eine Zeit in der Zukunft, die du nicht erleben wirst. Und was sollte diese ständige Bekräftigung von allen Seiten, wie ähnlich mir die kleine Kreatur sah? Wahrscheinlich spürten sie den Neid des Alters, der, an die falsche Adresse gewandt, machtvoll explodieren konnte, und versuchten an meine Zärtlichkeit zu appellieren, um ihn zu beschützen. Auch sein kleines, aufmerksam gespanntes Gesicht bestätigte meine Entdeckung: Modesta mußte groß, machtvoll erscheinen … wie Großmutter Gaia, Großmutter Valentina. Sicher, es wäre leicht, ihn mit meiner Autorität einzuschüchtern und zu zähmen, genauso leicht, wie ihn mit übertriebener Liebe zu ersticken, um sich auf diese Art vor einer möglichen »Liga gegen gemeine Großeltern« zu schützen.
»Schau nur, Jacopo, er ist ihr wie aus dem Gesicht geschnitten!«
Wie nur der Versuchung der Macht widerstehen, die auf meiner Stirn pulsiert, jetzt, wo er mich mit meinem eigenen Lächeln ansieht und, da er vielleicht meine Zweifel und Verwirrung spürt, mit einer Hand meine Wange berührt, als wolle er auf meiner Haut ertasten, wo die Gefahren meines Wesens liegen oder meine Schwächen?Seine Handfläche liest in mir, und gerade als ich beschlossen habe, die Macht nicht zu nutzen, wird seine kleine Hand stark und deutet eine Ohrfeige an.
»Du magst die Großmutter, nicht wahr, wenn du so machst! Das macht er immer, wenn er jemanden mag. Sieh ihn dir nur an, auf die Ohrfeigen folgen die Küsse.«
Ich fühle, daß ich es geschafft habe, das Wort »Großmutter« von meiner Haut zu lösen oder es in ein kleines, weiches Bündel wie ihn zu verwandeln.
»O Tante, er ist genau wie du, dauernd in Bewegung, immer beschäftigt, und wieviel er fragt! Als Kind warst du bestimmt genauso, mir kommt es immer vor, als sähe ich dich! Und dann hat er die Angewohnheit, ständig etwas mit sich herumzuschleppen …«
»Herumzuschleppen, Bambú?«
»Ja, er zieht Zweige hinter sich her, sammelt Blätter und fragt, fragt, fragt. Er ist aufgeweckt, intelligent, aber was mir Sorgen macht, ist seine dauernde Angst, daß alle von einem auf den anderen Moment verschwinden könnten. Was meinst du, Jacopo, liegt das am Krieg? Weil er gesehen hat, wie ihr nacheinander abgereist seid?«
»Kann sein, Bambú. Aber jetzt müssen wir uns um ’Ntoni kümmern. Er schläft, aber es geht ihm schlecht, schlechter, als ihr dachtet. Es ist, wie ich dir vorhin oben gesagt habe: Eure liebvolle
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