Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
kommen nicht runter, sondern gehen hoch. Also, das soll mal einer verstehen! Feste am Tag sind wirklich was Schönes, haben aber wie alles andere auch ihre Kehrseite: Die Sonne versinkt, und nach all der menschlichen Wärme werden die Schatten riesig, und du denkst, du hast noch den ganzen Abend vor dir, und auf Zehenspitzen kommt die Melancholie geschlichen wie eine traurige Ballerina. Du genauso, Mody, wenn ich den Motor nicht am Laufen hielte, um dich zum Lachen zu bringen … Ich kann dich sehen, was denkst denn du, auch im Dunkeln kann ich dich sehen, vielleicht, weil es mir vorkommt, als hätte ich hundert Jahre mit dir verbracht! Jetzt bist du ganz gefaßt und bleich, als würdest du bittere Gedanken wälzen. Schöne, traurige Mody, was ist mit dir?«
»Du bist doch auch traurig, Nina, komm schon!«
»Ich glaube, weil das Fest zu Ende ist.«
»Es ist nicht wegen des Festes, und das weißt du.«
»Man muß natürlich festhalten, daß es weniger ein Willkommen als vielmehr ein Abschied war.«
»Als Prando auf diese Art das Zimmer verlassen hat, kam es mir vor, als zöge er wieder in den Krieg.«
»Sicher, hier auf der Insel konnte man nicht mit einem so raschen Ende des Faschismus rechnen. Aber auf jeden Fall hatte man auf einen anderen Frieden gehofft.«
»Genauso ist es, Nina.«
»Dabei hatten mein Vater und seine Vorvorderen uns gewarnt.«
»Ja, das hast du mir oft erzählt, und Maria unten in Catania sagt dasselbe.«
»Ich habe Angst, der Genosse Angelo könnte recht behalten.«
»Welcher Angelo?«
»Angelo Tasca, der damals sagte, daß die Kirche sich mit den Lateransverträgen nicht vorrangig mit dem Faschismus verbündete, sondern alles vorbereitete, sein Erbe anzutreten … O Mann, hast du mich erschreckt, Bambolina! Seid ihr denn verrückt, euch wie Geister anzuschleichen und plötzlich das Licht anzumachen?«
»Bist du jetzt böse, Nina?«
»Nein, nein! Aber sagen muß ich es euch trotzdem, entschuldigt. Das muß am Knast liegen, sechs Jahre sind sechs Jahre! Bei jedem Licht, das überraschend angeht, und bei jedem Geschrei spielen meine Nerven verrückt. Darf man vielleicht mal wissen, was ihr auf der Treppe tatet, immer hoch und runter? Oh, es ist doch nicht etwa etwas Schlimmes passiert?«
»Es ist folgendes, Tante, Nina, wir mußten ein paar Entscheidungen treffen … besser gesagt, Jacopo mußte sie treffen, weil ich es nicht schaffe. Ich hatte diesen Moment so herbeigesehnt, ich war so glücklich, alle zusammen wie früher! Und dann, o Nina, ich kann es nicht glauben! Kaum vereint, müssen wir wieder …«
»Komm, Kleines, nicht weinen. Aber was rede ich? Weine, weine nur, das tut dir gut, komm zu Nina.«
Bambolina schluchzt an Ninas Hals, und ihre von Sonne und Wind gestählten Arme werden unter den wilden Schluchzern wieder zerbrechlich und zittern. Nina hält sie sanft fest, behutsam, sie weiß ebensogut wie ich, daß diese zarte, von einem schmalen schwarzen Lackgürtel umfangene Taille unter dem geringsten Druck einer harten Bewegung, eines barschen Wortes zerbrechen kann. Wie meine Beatrice hängt Bambolina an der prallen Lebensfreude als einem Naturrecht, und sie weiß, wie sie sie für sich und andere erobert. Selbst Mattia, der langsam durch die Terrassentür hereinkommt und mich ernst ansieht – wieso habe ich ihn nicht früher bemerkt? –, scheint trotz seines Herzleidens wieder ein kleiner Junge zu sein: Die Haut, der Blick sind wie gereinigt von den Zärtlichkeiten seiner Bambú.
»Jeder hat ein Recht darauf, glücklich zu sein.« Ja, Carlo, wie auf Brot, Wasser und Sonne. Und wir werden zusammen für Bambolina und für die kleine Beatrice kämpfen, die, das sieht man schon, »nicht listig und hart genug zum Kämpfen ist, im Gegensatz zu dir, Modesta«.
Jacopo starrt einen umgefallenen Krug an, um nicht Bambolinas Schluchzen zu hören. »O Mama, ich würde am liebsten sterben, wenn ich eine Frau weinen höre, ich halte das nicht aus!« Jacopo, zuvor groß und aufrecht und nun demütig und gebeugt, nimmt seine Brille ab, um sie zu putzen. Auch Jacopo ist wie Bambolina weder listig noch hart. Für sie muß man kämpfen, Carlo, für sie allein … für Carluzzu, der auf dem Sofa eingeschlafen ist und sich jetzt mit Blick auf den Kronleuchter die Augen reibt. »… Tja, Mama, mit dem Kind, das Stella und Prando auf die Welt setzen werden, sind wir in der viertenGeneration von Atheisten angelangt. Ich weiß, daß du das Wort nicht magst, aber vier Generationen sind
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