Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
spricht? Doch Inès legt mit Nachdruck ihre Hand – einst unsicher und zart, nun mit unzähligen Ringen besteckt – auf die Schulter ihres Sohnes und trennt die beiden. Jacopo wird kreidebleich und schiebt Nina unsanft fort, die ihn erstaunt ansieht und ausruft:
»Was ist los, Junge? Ist das vielleicht deine Schöne, die dich verwirrt? Seht euch das an, er wird ganz rot! O Mody, komm und sieh nur.«
Nina lacht noch lauter und blickt Inès herausfordernd an. Inès zischt mit hoch erhobenem Kinn:
»Ihr seht wohl überall Schweinereien, Fräulein, oder Frau?«
»Fräulein, Fräulein!«
»Ah, jetzt verstehe ich, Fräulein, aber hier verhalten sich die Dinge anders als auf dem Kontinent! Ich kenne Jacopo seit seiner Geburt und komme wie eine Mutter zu ihm, um ihn zu umarmen.«
»Entschuldigt bitte, ich meinte es nicht ernst, außerdem seid Ihr so jung und schön, daß ich dachte, Ihr würdet es als Kompliment auffassen.«
»Wir mögen hier solche Komplimente nicht, nicht wahr, Jacopo? Willst du denn gar nicht mit mir sprechen?«
»Aber Inès, ich war doch gleich nach meiner Ankunft bei dir …«
»Ja, aber nur eine Minute.«
»Na ja, ich wollte dich beruhigen, und dann … dann mußte ich die anderen beruhigen.«
»Sicher, aber danach habe ich den ganzen Tag auf dich gewartet.«
»Na ja, ich wäre später zu dir gekommen … siehst du? Sie machen Musik, Crispina hat gesungen. Los, Crispina, sing uns noch etwas! Und nun bist du ja hier, oder? Hier bei uns. Komm schon, Inès, sei doch nicht so!«
Jacopos Stimme wird unsicher, stockt. Es ist Zeit einzuschreiten. Als hätte Pietro meine Absicht erkannt – vielleicht an meinem Schritt, bestimmt nicht an meinem lächelnden Gesichtsausdruck –, steht er schweigend neben mir, während ich mich sagen höre:
»O Inès, schön, dich zu sehen! Komm schon, wir wollen Jacopo nicht sein Fest verderben. Unser Jacopo istglücklich, sei auch du glücklich, umarme mich. Auch wir haben uns lange nicht gesehen.«
In meinen steifen und feindseligen Armen flüstert sie:
»Jacopo gehört mir, mir allein, und dieses Hurenluder gefällt mir nicht. Warum hat sie ihn so an sich gedrückt?«
»Laß gut sein, Inès, nun bist du ja hier, nicht? Bleib bei deinem Jacopo … und du, Nina, komm und sieh dir an, wie gut Carluzzu sich gemacht hat. Er sagt, er könne singen wie Crispina. Vielleicht stimmt es ja. Pietro, du hattest recht: Deine Crispina muß Musik studieren. Und auch wegen der anderen Sache hattest du recht: Wir haben zuviel Zeit verloren, wir müssen es zu Ende bringen.«
»Sicher, Mody! Mir fällt ein Stein vom Herzen, und mit deiner Erlaubnis werde ich alles so gut wie möglich arrangieren.«
»Daran habe ich keinen Zweifel, Pietro.«
»Was hat denn diese Inès bloß, Mody, daß sie so wütend wird? Ist sie etwa in Jacopo verliebt?«
»Komm schon, Nina, hast du vergessen, daß sie seine Mutter ist?«
»Ach, ja. Aber was ändert das?«
»Kolonialdenken, du hast die Hand auf ihre Kolonie gelegt.«
»Donnerwetter, da bekomme ich glatt wieder gute Laune! Olimpia, komm her, meine Kolonie! Geliebtes Somalia, Abessinien! Du bist eine Wucht, Mody, am liebsten würde ich ein Lied daraus machen und es auf den Straßen singen … O Bambuccia, da bist du ja endlich! Wo hast du nur gesteckt? Komm und höre den neusten Einfall deiner Tante, du besitzt ja auch Ländereien und Plantagen! Wie geht es deiner Kolonie?«
Nina und Bambolina lachen, Bambú respektiert diesenMoment des Friedens. Erst als Nina sich suchend umsieht und ausruft: »Wo ist denn dein Wahlzwilling, dein ’Ntoni? Hier muß etwas passiert sein, zum ersten Mal sehe ich euch getrennt«, erwidert Bambolina ruhig: »’Ntoni fühlte sich nicht ganz wohl, aber jetzt ist er eingeschlafen. Ich glaube, es ist besser, wenn wir ihn schlafen lassen. Aber danach, Tante, wollte ’Ntoni mit Jacopo reden, wenn das spontane Fest vorüber ist. Jetzt gehen wir noch Wein holen, Nina. Herrgott, was bist du nur für eine Gastgeberin? Siehst du denn nicht, daß die Gäste leere Gläser haben und wie Verdurstende nach Getränken und Wein Ausschau halten?«
»Also, Mama, willst du dich endlich entscheiden? Läßt du dich jetzt aufstellen oder nicht? Du wärst die erste auf der Liste. Unten in Catania bestehen sie darauf. Wir wären mächtig stolz mit einer kommunistischen Sizilianerin als Abgeordneter in Rom. Und mir gefiele es, meine Mädchen-Mama immer bei mir zu haben.«
»Nein, Prando, auch Joyce hat mir schon geschrieben,
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