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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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weißer Faschismus ins Haus.«
    »Was redest du da? Die schrittweise Revolution …«
    »Der reformistische Mischmasch, meinst du? Wie der Witz mit der Agrarreform, was, Mattia?«
    »Ich verstehe nicht viel von Politik, Prando, aber die Agrarreform war tatsächlich nur Augenwischerei, ein Trostpflaster: ein paar Handbreit undurchsichtig zugeteilten steinigen Bodens und kein Geld für Saatgut und Maschinen. So mußten die Bauern, um diese vier Handvoll Erde zu beackern, sich verschulden und sind allerorts in die Hände von Wucherern geraten. Die ersten jungen Leute geben ihr Land schon wieder auf.«
    »Ihr seid verrückt, Mattia! Wollt ihr denn alles von heute auf morgen? Ich habe es satt. Du mit deinem Land, die zwei da mit ihrer Frauenfrage!«
    »Schon gut, Prando, Ich habe es dir gesagt und sage esnoch einmal: Ich möchte unabhängig sein von Leuten wie Lucio! Und paßt nur auf, wenn die Frauen erst einmal merken, wie ihr linken Männer mit paternalistischer Überheblichkeit über ihre Diskurse lacht, wenn deine Amalia merkt, daß du ihr nicht zuhörst und sie sich an zwei Arbeitsplätzen abrackert, am Herd und im Labor – warum erzählst du nie von Amalias Arbeit, hm? Warum höre ich immer nur, wie süß, hübsch oder eifersüchtig sie ist? –, wenn sie das merken, wird ihre Rache fürchterlich sein, Prando, wie in Amerika. Sie werden sich euch verweigern und …«
    »Hör schon auf!«
    »Eben! Ich will dich nicht hassen, aber ich empfinde Liebe für Männer wie Jacopo, Mattia …«
    »Alles Schwächlinge, Mama!«
    »Vorsicht, Prando! Denn ich werde dir den Hals umdrehen, wenn du das noch mal sagst.«
    »Laß gut sein, Mattia, nimm es nicht persönlich, er kann nichts dafür, er ist in der Nachwuchsschmiede des Duce aufgewachsen.«
    »Du siehst mich nie wieder, Mama, noch ein Wort, und du siehst mich niemals wieder!«
    »Das war zu erwarten, Prando, auch letztes Mal haben die Brüder, die Söhne uns verlassen. Es ist Zeit, Entscheidungen zu fällen, denke daran. Und ich habe meine gefällt … Was tat dein Malatesta, als der Faschismus begann, Nina? Er war einundsiebzig, im Vergleich zu ihm bin ich noch jung.«
    »Er nahm seine Arbeit als Elektriker wieder auf in einem kleinen Geschäft in San Lorenzo.«
    »Genau, ich werde die Zeit nutzen, um Bakunin und viele andere zu lesen. Wie sagte dein Arminio noch so richtig, Nina?«
    »Er sagte, ein Leninist liest aus Selbstzensur nicht. Es ist unglaublich, aber so ist es.«

91
    Vor dem kleinen, künstlichen See, der sich wie von Zauberhand gefüllt vor ihr auftut, bleibt Modesta stehen, um mit der Hand über das grüne Wasser zu streichen. Doch das kleine Wunder vermittelt ihr keinerlei Freude. Prando wendet sich zum Gehen. »Mich siehst du nie wieder, Mama, nie!« Gegen sein eigenes Kind zu rebellieren … Das hatte sie nicht gewußt, wie unfaßbar weh es tat, gegen das eigene Kind zu rebellieren, stimmt’s, Modesta? Warum nur? Denk scharf nach, Modesta, gehe nicht in die Falle. Wenn du nachdenkst und einen klaren Kopf behältst – genau wie unter dem Bombenhagel –, wirst du die Antwort finden. Da, setz dich wieder auf den kleinen Hocker, wo schon deine Beatrice immer saß, während du im Badewasser geplanscht hast: »Ich stelle ihn hierher, Modesta. Ein hübscher Stuhl, antik in dieser modernen Umgebung … Er ist originell, und so können wir immer reden.« Also, setz dich auf den Hocker, und zünde dir eine Zigarette an, das Wasser kann warten. Zwischen Rauch und Tränen denkt Modesta: Gegen den Vater rebelliert man, wenn man jung ist und meint, man hat die Ewigkeit vor sich, aber gegen den Sohn zu rebellieren zu einem Zeitpunkt, da man sich höchstwahrscheinlich schon dem Ziel seiner Reise nähert, weckt ein Gefühl der Verlassenheit, das nach Tod riecht. Was also tun? Noch bin ich angekleidet. Ich kann hinauslaufen und ihn zurückrufen und mich damit zu Lebzeiten für tot erklären, ich kann mich Aussagen und Handlungsweisenunterwerfen, die nicht meine eigenen sind, kann der systematischen Zerstörung der armen Amalia zusehen, die vertrauensvoll ist wie alle Frauen, welche zwar intelligent, jedoch in der Kunst des Erwachsenseins noch unerfahren sind. Kann der entgegengesetzten Zerstörung Carluzzus zusehen, der er Tag für Tag ausgesetzt ist: »Du bist ein Mann, beweise, daß du ein Mann bist, Carluzzu! Kein halbes Mädchen wie die Jugendlichen von heute!«
    Sie sind nicht einmal dreißig, und schon wettern sie wie alle über die Vierzehn- oder

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