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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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mußt!«
    Von den Brillengläsern bestätigt, sieht sie nichts als die üblichen grauen Strähnen und die eine oder andere Falte mehr. Und die Zähne? Gesund. Und wenn sie lacht, sind die Falten wie weggewischt. Das Lächeln, das am Ende einer Rede immer Begeisterungsrufe und wilden Applaus entfesselte. Es war schön und tröstlich, verstanden zu werden, geliebt. Darum, das wußte sie jetzt, hatte sie Tagum Tag akzeptiert, ihre Ideen zu beschneiden, die Inhalte auszuhöhlen, ihre Sprache zu reduzieren. Der Erfolg war ihr dennoch sicher, sicherer noch als früher. Das war die Falle! Je weniger sie gesagt hatte in den letzten Monaten, um so mehr hatten die Massen applaudiert. Vor lauter Glück hatte sie es nicht verstehen wollen. Nun wußte sie, daß der Erfolg der letzten Jahre nicht ihr eigener gewesen war. Wie eine Schauspielerin, die aus Freude am Spiel selbst aus dem banalsten und reaktionärsten Stück noch etwas macht. Sie verstand Mela, endlich verstand sie den strahlenden Blick, das sichere Auftreten des Mädchens … Inmitten der Beifallsstürme, akzeptiert und geliebt von der Masse, brauchte Mela niemanden, abgesehen von der einen oder anderen Affäre mit einer Frau. Die Glückliche! Doch Mela entlockte ihren Klaviertasten Töne, schöne, klassische Töne, und nicht Wörter, die mit noch schrecklicherer Munition feuerten als Kanonen …
    Die Arme auf den Spiegel gestützt, läßt Modesta das glückliche Lächeln verschwinden und weint voller Verzweiflung. Noch nie hat sie einen solchen Schmerz verspürt, weder als sie beschlossen hatte, kein weiteres Geld anzuhäufen, nicht immer reicher zu werden, noch als die Dichtkunst sie rief. Das Gesicht in den Armen verborgen, sucht sie die Kraft, sich nicht von sich selbst korrumpieren zu lassen, von dieser Stimme in ihr, die ihr zuruft: »Wenn du es nicht machst, macht es ein anderer, und garantiert schlechter als du.«

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    »Was hast du vor, Mama?«
    »Ich sonne mich, sieht man das nicht? Es kommt mir vor, als hätte ich seit hundert Jahren keine Sonne mehr gesehen.«
    »Findest du es fair, mich über alles im ungewissen zu lassen? Mich so bloßzustellen?«
    »Wieso denn bloßstellen, Prando?«
    »Wie ein Idiot stehe ich da, unten in Catania und in Rom. Warum muß ich immer alles von anderen erfahren, von Fremden?«
    »Hat Lucio dich angerufen?«
    »Er war verzweifelt! Du bist kommentarlos abgereist, und er wollte von deinem Rindvieh von Sohn wissen, was denn los sei und ob es wahr sei, daß du alles hinschmeißen willst.«
    »Geschichten, Prando, Ausreden, um dich anzurufen. Ich habe meine Tätigkeit ganz offiziell niedergelegt und alles korrekt hinterlassen. Ich bin sogar extra noch eine Woche länger in diesem verlogenen römischen Frieden geblieben, um sämtliche Termine abzusagen, der reine Alptraum! Vergoldete Wolken, Feierlichkeiten! Als genügte nicht schon die Via Veneto mit ihren Happy-few, die sich gegenseitig eine makabre Fröhlichkeit vorgaukeln.«
    »Vergiß Rom! Warum weichst du mir aus? Was hat es mit diesem Artikel auf sich?«
    »Warum fragst du, Prando, wenn du schon alles weißt?«
    »Wegen zehn Zeilen eines Artikels!«
    »Wenn du es genau wissen willst, es waren zwölf Zeilen und eine Überschrift. Aber ginge es auch nur um eineZeile, ich akzeptiere einfach keine Zensur. Ihr seid jung, aber mir sind zwanzig Jahre genug. Ich fühle mich persönlich zensiert, wie Nina sagen würde.«
    »Nina, Nina! Komm mir nicht mit der! Sie und dieser Schwächling Libero haben dir den Kopf verdreht.«
    »Ich kann dir sagen, daß Libero einer der wenigen echten Marxisten ist, denen ich in Rom begegnet bin.«
    »Ein verdammter Individualist, mehr nicht.«
    »Sicher, gemessen an eurem großkotzigen Triumphgehabe. Lassen wir das, Prando, ich habe es satt zu streiten. Wenn mir das jemand früher gesagt hätte, daß ich nach nur vier Jahren jenem schiefgewickelten Jesuiten Sartre recht geben würde.«
    »Was hat denn Sartre damit zu tun?«
    »Aber ja, Mailand 1946 war es, glaube ich, im Hochsommer … oh, was für eine Hitze, und das im wolkenverhangenen Norden!«
    »Erspar mir deine lyrischen Ergüsse, Mama!«
    »Ich erspare sie dir. Sartre sagte, daß ein wenig Angst nicht schaden könne gegen euer Triumphgeschrei, und die jungen Leute fühlten sich angesprochen.«
    »Die Jungen ohne Rückgrat aus deinem Bekanntenkreis! Ich kenne ganz andere junge Leute, solche wie mich …«
    »Jung, Prando? Du bist so alt wie die Macht auf dieser Insel, und du bist auch so

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